§ 130 AO

Rücknahme von Verwaltungsakten im Steuerrecht

Rücknahme im Steuerrecht

Nicht nur begrifflich unterscheidet die Abgabenordnung zwischen der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und dem Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts (§ 131 AO). Die Rücknahme eines Verwaltungsakts ist im Steuerrecht in § 130 AO geregelt. Dabei gelten unterschiedliche Regelungen für rechtswidrige begünstigende und nicht begünstigende Verwaltungsakte. Speziell ist geregelt, wann ein Steuerbescheid korrigiert werden kann. Auf Steuerbescheide findet § 130 AO daher keine Anwendung. Wir erklären unter welchen Voraussetzungen eine Rücknahme möglich ist.

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In diesem Video erklären wir allgemeine Regelungen zu Verwaltungsakten im Steuerrecht.

Inhaltsverzeichnis


1. Korrektur von Verwaltungsakten im Steuerrecht

1.1. Überwindung der Bestandskraft des Verwaltungsakts

Das Besteuerungsverfahren ist ein Massenverfahren. Im Interesse der Gesetzmäßigkeit und Gleichheit der Besteuerung sind daher Korrekturmöglichkeiten von Verwaltungsakten nötig. Ist die Rechtsbefehlsfrist abgelaufen, so erwachsen Verwaltungsakte zwar in Bestandskraft. Dies heißt aber nicht, dass der Verwaltungsakt auch bestandsfest ist. Trotz der Bestandskraft kann die Behörde den Verwaltungsakt aufheben. Dazu gewährt die Abgabenordnung unterschiedliche Möglichkeiten. Allen gemein ist aber, das Erfordernis einer Abwägung der Prinzipen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes mit der Gesetzmäßigkeit.

1.2. Korrektursystem der Abgabenordnung

Das Korrektursystem der Abgabenordnung ist dualistisch gespalten. Es ist zwischen den §§ 130, 131 AO und den §§ 165, 172 ff. AO zu differenzieren. §§ 130 bis 132 AO regeln die Möglichkeit der Zurücknahme und des Widerrufs nicht abschließend. Sonderregeln gelten mit den §§ 164 Absatz 2, 165 Absatz 2, 172-177 AO für Steuerbescheide und für solche Bescheide, für die die Regeln über Steuerbescheide entsprechend gelten. Daneben gibt es keinen Raum für die Anwendung der §§ 130 ff. AO. Anwendung findet § 130 AO aber unter anderem für die Ablehnung begünstigender Verwaltungsakte, für selbstständige Anordnung im Besteuerungsverfahren einschließlich der Außenprüfung, für die Aufforderung zur Buchführung, für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen oder für Haftungsbescheide und Duldungsbescheide.

§ 130 AO stellt für rechtswidrige begünstigende (§ 130 Absatz 2 AO) und für nicht begünstigende (§ 130 Absatz 1 AO) unterschiedliche Regelungen zur Rücknahme auf. Ein im Zeitpunkt des Erlasses rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann zurückgenommen werden (§ 130 Absatz 1 AO). Demgegenüber kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt aus Vertrauensschutzgründen nur in seltenen Ausnahmefällen zurückgenommen werden (§ 130 Absatz 2 AO).

Ob ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts. Wird der Verwaltungsakt später rechtswidrig, kann also allenfalls ein Widerruf nach § 131 AO möglich sein. Daher macht die nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage den ursprünglich rechtmäßigen Verwaltungsakt nicht rechtswidrig. Die objektive Beweislast dafür, dass der zurückgenommene Verwaltungsakt rechtswidrig war und dass die Voraussetzungen für die Zurücknahme vorliegen, hat bei belastender Auswirkung für den Steuerpflichtigen grundsätzlich die Behörde.

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2. Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte

2.1. Rücknahme nur in Ausnahmefällen zulässig

Begünstigende, rechtswidrige Verwaltungsakte können nach Maßgabe des § 130 Absatz 2 AO zurückgenommen werden. Dabei ist das Vertrauensinteresse des Betroffenen in den Bestand des begünstigenden Verwaltungsakts zu beachten. Daher kehrt der § 130 Absatz 2 AO den Grundsatz des Absatzes 1 um. Mithin darf der begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakt grundsätzlich nicht zurückgenommen werden. Nur unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Rücknahme möglich, nämlich in Fällen, in denen der Betroffene nicht auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut oder in denen sein Vertrauen nicht schutzwürdig ist.

Die Voraussetzungen, unter denen ein rechtswidriger, begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann, sind in den § 130 Absatz 2 Nummern 1 – 4 AO abschließend geregelt. Dabei kann die Finanzbehörde jedoch Gründe nachschieben. Sie kann sich daher statt auf § 130 Absatz 2 Nummer 2 AO im Nachgang auf die Nummer 3 berufen.

Es liegt hingegen kein Rücknahmegrund vor, wenn die Finanzbehörde nachträglich ihre Ansicht über die Rechtslage ändert oder nachträglich den Sachverhalt oder die Beweise anders würdigt, ohne dass falsche oder irreführende Angaben gemacht wurden.

Abweichend von den Regeln im allgemeinen Verwaltungsrecht (§ 49 Absatz 4 VwVfG) ist der Bestand des Verwaltungsakts im Rahmen des § 130 Absatz 2 AO nicht davon abhängig, dass der Begünstigte sein Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts durch besondere Dispositionen manifestiert hat. Jedoch muss die Behörde diesen Gesichtspunkt im Rahmen ihres Ermessens berücksichtigen.

2.2. Definition des begünstigenden Verwaltungsakt

Nach § 130 Absatz 2 AO sind begünstigende Verwaltungsakte solche, die ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründen oder bestätigen. Der Vorteil muss tatsächlich vorliegen. Es reicht nicht, dass der Beteiligte ihn subjektiv als Vorteil ansieht. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist entscheidend, ob sich die Zurücknahme begünstigend oder belastend auf den Betroffenen auswirkt. In Betracht kommt hierbei, die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts, um eine höhere Belastung an die Stelle zu setzen. Der ursprüngliche Verwaltungsakt ist insofern begünstigend, als er keine höhere Belastung begründet oder festsetzt. Die Steigerung der erreichten Belastung würde daher belastend wirken und sich damit nach § 130 Absatz 2 AO richten. Dies wirkt sich beispielsweise bei Verspätungszuschlägen, Zwangsgeldern oder Haftungsbescheiden aus.

Verwaltungsakte, die auf eine Geldzahlung gerichtet sind, haben demnach einen doppelten Charakter: sie belasten den Betroffenen insoweit, als dass sie einen bestimmten Betrag festsetzen. Demgegenüber begünstigen sie ihn aber gleichzeitig insoweit, als dass sie keinen höheren Betrag festsetzen. Hinsichtlich der Festsetzung eines höheren Betrags ist daher § 130 Absatz 2 AO und nicht § 130 Absatz 1 AO anzuwenden.

Ein Verwaltungsakt kann sich aber auch zum Teil begünstigend und zum Teil belastend auf den Betroffenen auswirken. Hebt die Finanzbehörde den belastenden Teil auf, so gilt § 130 Absatz 1 AO. Soll hingegen eine Rechtswirkung beseitigt werden, an deren Bestand der Betroffene ein schutzwürdiges Interesse hat, so gilt jedoch der § 130 Absatz 2 AO. Ein begünstigender Verwaltungsakt ist beispielsweise die Gestattung der Ist-Besteuerung nach § 20 UStG.

2.3. Rücknahmevoraussetzungen

2.3.1. Erlass durch eine sachlich unzuständige Behörde

Ein Rücknahmegrund liegt nach § 130 Absatz 2 Nummer 1 AO vor, wenn der Verwaltungsakt von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurde. Die sachliche Unzuständigkeit der Behörde begründet eine starke Vermutung für Inkompetenz.

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2.3.2. Durch unlautere Mittel erwirkt

Ein Verwaltungsakt lässt sich auch dann zurücknehmen, wenn er durch unlautere Mittel erwirkt wurde (§ 130 Absatz 2 Nummer 2 AO). Grund für diesen Rücknahmegrund ist, dass derjenige, der einen begünstigenden Verwaltungsakt durch diese Mittel erwirkt hat, nicht schutzwürdig ist. Als Beispiel für unlautere Mittel nennt das Gesetz die arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung.

Arglistige Täuschung bedeutet dabei die bewusste, vorsätzliche Irreführung. Sie kann auch in einem Unterlassen von Angaben liegen. Dies aber nur, wenn nach Lage des Falls die Verpflichtung bestand, sachdienliche Angaben zu machen. Unverschuldet falsche Angaben sind weder unlauter noch arglistig.

Eine Drohung liegt in der vorsätzlichen Erregung von Furcht vor einem Übel und mithin in psychischen Zwang. Der Bedrohte muss allein mit dem Übel rechnen. Daher ist es irrelevant, ob der Täter in der Lage ist, die Drohung wahr zu machen. Die Androhung zulässiger Mittel ist jedoch nicht tatbestandsmäßig.

Zwischen der Anwendung des unlauteren Mittels und dem Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Daher dürfte der Verwaltungsakt im konkreten Fall ohne Einsatz der Mittel nicht so ergangen sein, wie er tatsächlich ergangen ist.

In aller Regel wird der Begünstigte die unlauteren Mittel selbst anwenden und dann den Verwaltungsakt erwirken. Dies muss aber nicht sein. Vielmehr ist die Rücknahme auch zulässig, wenn das unlautere Mittel mit Wissen und Billigung des Begünstigten von einem Dritten angewendet worden ist und der Steuerpflichtige sich das Verhalten des Dritten zurechnen lassen muss. Dies gilt beispielsweise bei Bevollmächtigten oder Vertretern.

2.3.3. Unlautere Mittel der Behörde

Ein Rücknahmerecht nach § 130 Absatz 2 Nummer 2 AO besteht jedoch nicht, wenn der Beamte, der den begünstigenden Verwaltungsakt erlässt, unlautere Mittel anwendet. Der Beamte erwirkt den Verwaltungsakt nämlich nicht, sondern erlässt ihn. Für untreue Beamte, von deren gesetzeswidrigem Handeln der Begünstige nichts weiß, braucht der Steuerpflichtige nicht einzustehen. Nur, wenn der Beamte mit Wissen und Billigung des Begünstigten handelt oder der Begünstigte mit dem Beamten zusammenwirkt, lässt sich § 130 Absatz 2 Nummer 3 AO anwenden.

2.3.4. Durch unrichtige oder unvollständige Angaben

Ein Rücknahmerecht besteht auch, wenn der begünstigende Verwaltungsakt vom Berechtigten durch Angaben erwirkt worden ist, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Dann ist der Begünstigte nicht schutzwürdig. Er hat die Ursache für die Rechtswidrigkeit selbst gesetzt. Hat die Behörde die unrichtigen oder unvollständigen Angaben verursacht oder gar mitverschuldet, so greift § 130 Absatz 2 Nummer 3 AO jedoch nicht ein.

Dem Begünstigten muss die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit nicht bekannt gewesen sein. Die unrichtigen oder unvollständigen Angaben brauchen nicht schuldhaft gemacht worden sein. Liegt allein leichte Fahrlässigkeit vor, so kann die Behörde im Rahmen ihres Ermessens von der Rücknahme des Verwaltungsakts absehen. Hat der Betroffene den Fehler jedoch vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, so ist das Ermessen auf Rücknahme reduziert.

Die Angaben müssen aber entscheidungserheblich gewesen sein. Das ist dann der Fall, wenn die Finanzbehörde den Verwaltungsakt bei vollständiger Kenntnis des Sachverhalts nicht beziehungsweise so nicht erlassen hätte.

Beispielsweise kann die Finanzbehörde den gewährten Erlass der Steuer aus persönlichen Billigkeitsgründen zurücknehmen, wenn sich später herausstellt, dass der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Erlassantrages einen Casinogewinn in Millionenhöhe verschwiegen hat.

2.3.5. Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit

Ein weiterer Rücknahmegrund besteht nach § 130 Absatz 2 Nummer 4 AO, wenn dem Begünstigten die Rechtswidrigkeit bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt ist. Dabei genügt aber nicht, dass der Begünstigte die tatsächlichen Umstände kennt, die zur Rechtswidrigkeit geführt haben. Vielmehr muss er das – wenn auch laienhafte – Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts selbst haben. Hier sind die subjektiven Kenntnisse und Fähigkeiten des Begünstigten maßgeblich.

Ist der Verwaltungsakt einem Bevollmächtigten oder Vertreter bekannt gegeben worden und ist dieser verpflichtet, den Verwaltungsakt auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen, so sind dessen Rechtskenntnisse oder dessen rechtliches Kennenmüssen dem Begünstigten zuzurechnen.

2.3.6. Erweiterter Anwendungsbereich

Dem Wortlaut nach gilt der § 131 Absatz 1 Nummer 1, 2 AO nur für rechtmäßige Verwaltungsakte. Was für rechtmäßige Verwaltungsakte gilt, muss jedoch erst recht für rechtswidrige Verwaltungsakte gelten. Daher kommt es in den Fällen des § 131 Absatz 1 Nummer 1, 2 AO nicht darauf an, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Somit ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch möglich, wenn die Rücknahme zulässigerweise vorbehalten wurde (§ 131 Absatz 2 Nummer 1 AO) oder wenn eine Auflage nicht erfüllt wurde (§ 131 Absatz 2 Nummer 2 AO).

3. Rücknahme des nicht begünstigenden Verwaltungsakts

Einen nicht begünstigenden Verwaltungsakt kann die Behörde gemäß § 130 Absatz 1 AO nach ihrem Ermessen zurücknehmen. Daher muss sie ihn nicht zurücknehmen. Abzuwägen sind die Prinzipien der Einzelfallgerechtigkeit und das Allgemeininteresse an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden.

Bei der Abwägung ist insbesondere zu beachten, dass die Vorschriften über die Rechtsbehelfsfristen nicht ausgehöhlt werden dürfen. Daher ist die Ablehnung der Rücknahme nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Betroffene nur Umstände vorträgt, die er auch fristgerecht durch Rechtsbehelf hätte geltend machen können. Dies gilt beispielsweise, wenn der Steuerpflichtige zunächst Einspruch eingelegt hat und diesen später zurücknimmt.

Es ist aber nicht gerechtfertigt, das Begehren in jedem Fall unter Hinweis auf den Fristablauf abzulehnen. Dies gilt beispielsweise, wenn ein Rechtsbehelf nach den Umständen des Falls billigerweise nicht erwartet werden konnte oder wenn die Behörde den Steuerpflichtigen veranlasst hat, von einem Rechtsbehelf abzusehen.

Ferner ist die Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes sowie die Frage, warum die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gerügt wird, im Rahmen der Ermessensprüfung relevant.

Die Behörde wird den Verwaltungsakt aber in der Regel zurücknehmen, wenn er eindeutig fehlerhaft ist und nur durch Zurücknahme der Gesetzmäßigkeit genügt werden kann. Vertrauensschutzinteressen werden in aller Regel nicht entgegenstehen.

Führt die Behörde keine Ermessensprüfung durch, so liegt eine Ermessensunterschreitung vor, so dass die Ablehnung rechtswidrig ist. Behauptet der Steuerpflichtige allerdings allein die Rechtswidrigkeit und begründet diese Behauptung nicht, so ist es aber nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Finanzbehörde den Verwaltungsakt nicht auf seine Rechtmäßigkeit überprüft.

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Unser Video: Änderung/Aufhebung von Steuerbescheiden (§§ 129-131 + §§ 164-177)

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4. Umfang der Rücknahme

4.1. Sachlicher Umfang

Soweit die Rechtswidrigkeit reicht, kann der Verwaltungsakt ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Eine Teilrücknahme setzt dabei Teilrechtswidrigkeit voraus. Dafür muss der Verwaltungsakt teilbar sein. Verwaltungsakte, die auf eine Geldleistung gerichtet sind, sind stets teilbar. Betrifft die Rechtswidrigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er aber im Ganzen rechtswidrig, wenn der rechtswidrige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den rechtswidrigen Teil nicht erlassen hätte.

4.2. Zeitlicher Umfang

Nicht nur, ob der Verwaltungsakt zurückgenommen wird steht im Ermessen der Behörde. Vielmehr steht auch im Ermessen der Behörde, ob sie den Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft oder auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknimmt.

Dabei kommt die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit insbesondere dann in Betracht, wenn Fehler zu korrigieren sind, die ihre Ursache in der Sphäre des Bürgers haben. Daher ist der Verwaltungsakt in den Fälle des § 130 Absatz 2 Nummer 2 – 4 AO regelmäßig mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Demgegenüber ist eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft angezeigt, wenn Vertrauensschutz geboten ist, also insbesondere im Falle des § 130 Absatz 2 Nummer 1 AO.

Es muss dem Verwaltungsakt klar – hilfsweise mittels Auslegung – zu entnehmen sein, ob die Rücknahme für die Zukunft oder für die Vergangenheit gewollt ist. Lässt sich dies nicht ermitteln, so ist die Rücknahme mangels Bestimmtheit nichtig.

5. Rücknahmefrist

Die Rücknahme ist auch während des Einspruchsverfahrens und während des finanzgerichtlichen Verfahrens möglich. Soweit eine Festsetzungsfrist gilt, ist zu beachten, dass der Verwaltungsakt nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zurückgenommen werden darf.

Für begünstigende Verwaltungsakte gilt die Sonderregelung des § 130 Absatz 3 AO. Demnach ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres nach Kenntnisnahme der, die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen möglich. Dies gilt allerdings nicht für den Fall, dass der Verwaltungsakt durch unlautere Mittel erwirkt worden ist.

Es ist unerheblich, ob die Tatsachen bereits zur Zeit des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsakts existierten oder nicht. Die Tatsachen müssen der Finanzbehörde allein nachträglich bekannt sein. Sie müssen relevant sein, also die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigen. Dabei ist die Kenntnis der zur Bearbeitung des Falles organisationsmäßig berufenen Person oder Stelle innerhalb der Finanzbehörde entscheidend.

Ist die Behörde so lange untätig, dass der Steuerpflichtige den Umstände nach den Schluss ziehen kann, die Behörde werde von der Rücknahmemöglichkeit keinen Gebrauch mehr machen, so ist das Recht zur Rücknahme verwirkt. Der zur Verwirkung nötige Zeitablauf hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kommt auf die Sicht des Bürgers an. Daher sind behördeninterne Zustände oder Vorgänge unbeachtlich. Mithin ist irrelevant, ob die Behörde sich bewusst oder unbewusst, schuldhaft oder schuldlos untätig verhalten hat.

6. Rechtsfolgen der Rücknahme

Die Rücknahme beendet die Wirksamkeit des zurückgenommenen Verwaltungsakts (§ 124 Absatz 2 AO). Mit der Rücknahme entfällt die Möglichkeit, den Verwaltungsakt zu vollstrecken (§ 249 Absatz 1 AO) oder ihn zu erzwingen (§ 328 Absatz 1 AO). Sie ist ihrerseits ein Verwaltungsakt. Rechtsbehelfe gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt sind nicht mehr möglich und ein anhängiger Rechtsbehelf erledigt sich.

Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen an die Stelle des zurückgenommenen Verwaltungsakts ein neuer, den gleichen Gegenstand betreffender Verwaltungsakt gesetzt werden kann. Dies richtet sich danach, ob die Rücknahme eine „ersatzlose“ ist. Erfolgte die Rücknahme ersatzlos, so steht der Vertrauensschutz dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts entgegen. Dabei ist der Begriff „ersatzlos“ unter Berücksichtigung aller Umstände so auszulegen, wie ihn der Betroffene verstehen konnte und musste. Erhält der Steuerpflichtige mit der laut Bescheid „ersatzlosen Rücknahme“ gleichzeitig den neuen Bescheid, so kann er der Ersatzlosigkeit nicht trauen.

7. Rechtsbehelfe

Die Rücknahme eines Verwaltungsakts kann mit dem Einspruch angefochten werden. Nimmt die Behörde den Rücknahmeverwaltungsakt im Einspruchsverfahren zurück, so wird der ursprüngliche Verwaltungsakt wieder wirksam.

Lehnt die Behörde es ab, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt ganz oder zum Teil zurückzunehmen, ist ebenfalls der Einspruch statthaft. Handelt es sich jedoch bei der Ablehnung lediglich um einen sogenannten wiederholenden Verwaltungsakt, also hat die Behörde in der Sache nicht neu entschieden, so ist der Einspruch nicht statthaft.


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