Haftung für Steuernachzahlung: Wer haftet für wessen Steuer?
Grundsätzlich regeln die §§ 43 bis 46 AO bereits ausführlich, wer unter welchen Voraussetzungen Steuerschuldnerin oder Steuerschuldner ist. In bestimmten Fällen, zum Beispiel beim Übergang von Betrieben auf eine andere Person, kann es hier aber zu Abweichungen kommen. Mit den §§ 69 bis 75 AO regelt der Gesetzgeber die Haftung für Steuernachzahlungen und unter welchen Umständen sie zum Tragen kommt. Schauen wir uns den vierten Abschnitt der AO etwas genauer an!
Unser Video:
Haftung für Steuernachzahlungen
In diesem Video erklären wir, welche Person nach der AO unter welchen Voraussetzungen für Steuerschulden haftet.
Inhaltsverzeichnis
1. Rechtsgrundlage: Die Haftungstatbestände in den §§ 69 bis 75 AO
Die Abgabenordnung kennt verschiedenste Haftungstatbestände, wobei der Begriff „Haftung“ bereits impliziert, dass sie sich nicht auf den Steuerschuldner selbst beziehen. Soweit die Haftung für eine Steuernachzahlung greift, kann sich das Finanzamt also an eine andere als die eigentlich steuerpflichtige Person im Sinne der Einzelsteuergesetze (zum Beispiel § 1 EStG) wenden. Dabei sind in der Praxis vor allem die folgenden Tatbestände von Bedeutung:
- Haftung der Vertreter (§ 69 in Verbindung mit §§ 34 und 35 AO)
- Haftung der vertretenen Person (§ 70 AO)
- Haftung des Steuerhinterziehers und des Steuerhehlers (§ 71 AO)
- Haftung bei steuerlicher Organschaft (§ 73 AO)
- Haftung des Betriebsübernehmers (§ 75 AO)
Abschließend regelt § 76 AO die sogenannte Sachhaftung. Waren, die einer Verbrauchssteuer unterliegen (beispielsweise Tabakwaren und Alkohol) dienen als Sicherheit für die entsprechende Steuer. Unterbleibt die Steuerzahlung, kann der Fiskus die Ware, soweit erforderlich, beschlagnahmen (§ 76 Absatz 3 Satz 1 AO). Die Beschlagnahme ist dabei mit einem Verfügungsverbot gleichzusetzen, sodass insbesondere der Weiterverkauf der Güter ausgeschlossen ist.
1.1. Haftung der Vertreter nach § 69 AO
Nach §§ 34 Absatz 1 Satz 1 und 35 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Für natürliche Personen tritt eine gesetzliche Vertretungsbefugnis regelmäßig nur dann ein, wenn sie nicht selbst im Sinne des § 79 AO handlungsfähige Beteiligte des Verwaltungsverfahrens sind. Hierunter fallen in erster Linie Kinder (§§ 1626, 1629 BGB), im Fall einer juristischen Person aber auch die Geschäftsführer (bei der GmbH etwa nach § 35 Absatz 1 GmbHG).
Handelt ein solcher Vertreter vorsätzlich oder grob fahrlässig und werden dadurch steuerliche Pflichten verletzt, tritt nach § 69 Satz 1 AO eine Haftung für die Steuernachzahlung ein. Sie umfasst auch die Rückzahlung von Steuervergütungen, soweit diese ohne rechtlichen Grund gezahlt wurden, sowie anfallende Säumniszuschläge.
1.2. Haftung der Vertretenen nach § 70 AO
Durch die Vertretungsbefugnisse der §§ 34 und 35 AO können Vertreter „stellvertretend“ für den Vertretenen eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) begehen. Die vertretene Person haftet dabei nach § 70 Absatz 1 AO gleichermaßen für die durch die Tat verkürzten oder hinterzogenen Steuern, sofern und soweit sie nicht ohnehin Steuerschuldner im Sinne des § 43 AO ist.
Nach § 70 Absatz 2 Satz 1 AO tritt keine Haftung für die Steuernachzahlung ein, wenn die vertretene natürliche Person aus der Tat des Vertreters keinen Vermögensvorteil ziehen konnte.
Beispiele:
- Der Geschäftsführer einer GmbH hinterzieht im Namen der Gesellschaft EUR 50.000 Körperschaftsteuer. Für die entsprechende Nachzahlung haftet einerseits der Vertreter selbst nach § 69 Satz 1 AO, andererseits aber auch die GmbH nach § 70 Absatz 1 AO
- Die Eltern eines minderjährigen Kindes hinterziehen in dessen Namen EUR 6.000 Einkommensteuer. Die hinterzogene Summe fließt den Eltern zu. Da das Kind selbst keinen Vermögensvorteil aus der Hinterziehung gewinnen konnte, haften ausschließlich die Eltern (§§ 69 Satz 1 und 70 Absatz 2 Satz 1 AO)
- Wie unser zweites Beispiel, nur zahlen die Eltern den hinterzogenen Betrag auf das Girokonto des Kindes ein. Hierdurch geht das Eigentum am Vermögen auf das Kind über, das hierdurch den vom Gesetzgeber geforderten Vermögensvorteil erlangt. Das Finanzamt kann neben den Eltern auch das Kind in die Haftung für die Steuernachzahlung nehmen (§ 70 Absatz 1 Satz 1 AO)
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1.3. Haftung für Steuernachzahlungen durch Hinterziehung und Hehlerei nach § 71 AO
Steuerhinterzieher und Steuerhehler haften nach Maßgabe des § 71 AO für
- die hinterzogene Steuer,
- Zinsen nach § 235 AO und
- Zinsen nach § 233a AO,
soweit letztere auf die Zinsen nach § 235 AO anrechenbar sind (§ 235 Absatz 4 AO). Die Norm umfasst dabei in erster Linie Fälle, in denen die steuerhinterziehende Person keine Steuerschuldnerin oder kein Steuerschuldner im Sinne der §§ 43 bis 45 AO ist. Sie ist damit unter anderem für Vertreter natürlicher wie juristischer Personen relevant, umfasst aber ausschließlich Steuerhinterziehungen und die Hehlerei.
Mit § 71 AO bezieht sich der Gesetzgeber explizit auf die Täterschaft im Sinne des § 25 Absatz 1 StGB, sodass der Steuerhinterzieher selbst in die Haftung genommen wird. Soweit die Tat gemeinsam begangen wurde, gelten die Regelungen zur Mittäterschaft des § 25 Absatz 2 StGB. Mittäter haften als Gesamtschuldner (§ 44 Absatz 1 Satz 1 AO). „Teilnehmer“ im Sinne des § 71 AO ist auch eine Person, die andere zur Steuerhinterziehung anstiftet (§ 26 StGB).
1.4. Haftung bei steuerlicher Organschaft nach § 73 AO
Besteht eine steuerliche Organschaft (etwa nach §§ 14 fort folgende KStG, § 2 Absatz 2 GewStG oder § 2 Absatz 2 Nummer 2 UStG), greift mit Blick auf die Haftung für Steuernachzahlungen § 73 AO. Dabei haften die einzelnen Organgesellschaften für alle Steuern, die im Organkreis entstanden sind, auch wenn Steuerpflichtiger der Organträger ist. Dabei liegt innerhalb der Organschaft eine Gesamtschuldnerschaft (§ 44 AO) vor, sodass
- die Zahlung der Steuerschulden durch die Organgesellschaft für den Organträger,
- die Zahlung des Organträgers für eine oder mehrere Organgesellschaften und
- die Zahlung von Steuerschulden durch eine Organgesellschaft für eine andere Organgesellschaft
schuldbefreiend für die anderen Gesamtschuldner wirkt (§ 44 Absatz 2 Satz 1 AO; AEAO zu § 73, Randziffern 1 und 3.4).
Die Haftung ist dabei auf die steuerliche Wirksamkeit der Organschaft und damit gegebenenfalls auf einzelne Steuerarten beschränkt. Besteht eine Organschaft beispielsweise nur für Zwecke der Umsatzsteuer, kann das Finanzamt § 73 AO auch nur auf diese Steuerart anwenden. Für körperschaftsteuerliche Zwecke gelten die üblichen Normen zur Steuerschuldnerschaft, insbesondere § 43 AO.
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1.5. Haftung des Betriebsübernehmers nach § 75 AO
Nach § 75 Absatz 1 Satz 1 AO haftet der Betriebsübernehmer für Steuerschulden, soweit die Steuerpflicht aufgrund des Betriebs selbst besteht. Betroffen sind daher insbesondere Körperschaft-, Umsatz- und Gewerbesteuer; von der Haftung ausgenommen ist die Einkommensteuer des früheren Betriebsinhabers. Die Haftung für Steuernachzahlungen tritt außerdem nur bis zur Höhe des übernommenen (Betriebs-) Vermögens mit Ausnahme der Schulden ein (§ 75 Absatz 1 Satz 2 AO). Haftungsschuldner ist der Erwerber.
Gegenstand der Betriebsübernahme ist ein eigenständiger oder in der Gesamtgliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb. Dabei stellt der Gesetzgeber insbesondere auf wirtschaftliche Einheit und Selbstständigkeit des Betriebes ab (BFH vom 07.03.1996, VII B 242/95). Außerdem gilt auch hier die Definition der wesentlichen Betriebsgrundlagen, die bereits aus dem Einkommensteuerrecht bekannt ist (AEAO zu § 75, Randziffer 3.2).
Zusätzlich gilt nach § 75 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 AO eine zeitliche Beschränkung. Der Betriebsübernehmer ist nur von einer Haftung für Steuernachzahlungen betroffen, soweit die Steuern innerhalb eines Jahres
- seit dem Beginn des letzten Jahres vor der Betriebsübertragung entstanden sind (§ 38 AO) und
- nach der Anmeldung durch den (neuen) Betriebsinhaber festgesetzt wurden.
Beispiel: A hat den Betrieb des B am 01.01.2023 übernommen und angemeldet. Aus dem Jahr 2021 bestehen Steuerschulden von EUR 10.000, aus dem Jahr 2022 von EUR 18.000. Der A haftet lediglich für die aus 2022 bestehenden Schulden in Höhe von EUR 18.000. Das Finanzamt setzt die entsprechende Steuernachzahlung am 15.06.2023 fest.
Lösung: Alle Voraussetzungen der Haftung für die Steuernachzahlung sind erfüllt. Der B hat die Schuld aus 2021 selbst zu entrichten. Er erhält außerdem einen Steuerbescheid über die aus 2022 bestehende Steuerschuld von EUR 18.000; allerdings nimmt das Finanzamt den A für diese Summe durch Haftungsbescheid in Anspruch. Die schlussendliche Zahllast liegt daher bei A.
2. Durchsetzung der Haftung für Steuernachzahlungen – der Haftungsbescheid
Greift nach den Vorschriften der AO oder außersteuerlichen Normen eine Haftung für Steuernachzahlungen, erlässt das Finanzamt einen Haftungsbescheid nach § 191 Absatz 1 Satz 1 AO. Bei ihm handelt es sich um einen sonstigen Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung nur nach den §§ 129 bis 131 AO möglich ist. Unbeschadet dessen ist der Haftungsbescheid ein mit dem Einspruch anfechtbarer Verwaltungsakt in Abgabenangelegenheiten (§ 347 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und Absatz 2 AO).
Der Haftungsbescheid richtet sich gegen den Haftungsschuldner. Auf ihn sind die Vorschriften der Festsetzungsfrist entsprechend anzuwenden (§§ 169 bis 171 AO). Demnach tritt auch bei Haftungsforderungen nach vier Jahren die Festsetzungsverjährung ein; eine längere Frist gilt in Fällen von Steuerhinterziehung und leichtfertiger Steuerverkürzung.
Außerdem enthält § 191 Absatz 3 Satz 4 AO eine eigenständige Ablaufhemmung. Die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid endet frühestens mit Ablauf der für den hintergründigen Steuerbescheid geltenden Festsetzungsfrist. Scheidet hiernach eine Inanspruchnahme des Haftungsschuldners aus, gilt der Steuerbescheid als Grundlagenbescheid, was den Erlass eines Haftungsbescheides in entsprechender Anwendung des § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO ermöglicht (§§ 191 Absatz 3 Satz 4 Halbsatz 2 und 171 Absatz 10 AO).
Der Haftungsbescheid ist ein vollstreckbarer Verwaltungsakt und Grundlage für die Erhebung des fiskalischen Anspruchs (§ 218 Absatz 1 Satz 1 AO). Daher ergeht er mit einer entsprechenden Zahlungsaufforderung (§ 219 Satz 1 AO).
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