Gesetzeslücken im Steuerrecht

Zulässigkeit einer Analogie?

Gesetzeslücken im Steuerrecht: Analogieverbot oder zulässige Rechtsfortbildung?

Auch im Steuerrecht kann sich nach der Auslegung einer Norm ergeben, dass diese eine Gesetzeslücke enthält. Dann stellt sich die Frage, ob der Rechtsanwender diese Lücke im Wege der Rechtsfortbildung schließen darf oder, ob im Steuerrecht ein Analogieverbot gilt. Wir erklären welche Probleme entstehen und wie Gesetzeslücken im Ergebnis geschlossen werden.

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Inhaltsverzeichnis


1. Auslegung macht Gesetzeslücken kenntlich

Steuergesetze können unterschiedlich verstanden werden. Normen sind auszulegen. Dabei sind der Telos, die Systematik, die Grammatik und die Historie der Norm zu beachten. Die äußerste Grenze der zulässigen Auslegung bildet dabei der Wortlaut der Norm.

2. Verfahren bei Gesetzeslücken

2.1. Vorliegen einer Gesetzeslücke

Von der Auslegung einer Norm ist die Ausfüllung von Gesetzeslücken durch Rechtsfortbildung zu unterschieden. Eine Lücke im Gesetz wird erst ersichtlich, wenn der Rechtsanwender die Norm ausgelegt hat. Nachdem der Rechtsanwender eine Lücke durch Auslegung gefunden hat, macht er sich Gedanken, ob er die erkannte Gesetzeslücke ausfüllen kann.

Die Ausfüllung von Gesetzeslücken beginnt damit jenseits des möglichen Wortverständnisses des Gesetzes. Mit dem Wortlaut einer Norm endet nämlich nicht zwingend die rechtliche Würdigung des Sachverhalts. Der Eintritt der Rechtsfolge kann dem Gesetzeszweck vielmehr auch neben den, von dem Wortlaut erfassten Fällen entsprechen. Dann ist die Anwendung der Norm kraft Analogie oder juristisch wertender Logik in Betracht zu ziehen.

Der Gesetzgeber hat bei der Entwicklung des Gesetzes in der Regel einen bestimmten Plan. Er wollte bestimmte Fundamentalprinzipien der Besteuerung durch gesetzliche Anordnungen verdeutlichen oder einen Zielkonflikt durch eine bestimmte gesetzliche Vorrangwertung auflösen. Ist ihm dies nicht vollständig gelungen, so liegt eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vor. Dann ist das Gesetz gemessen an dem zu Grunde liegenden Plan beziehungsweise den zugrundeliegenden Wertungen unvollständig beziehungsweise fehlerhaft formuliert. Eine Gesetzeslücke definiert sich also als eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes.

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2.2. Beispiel für eine Gesetzeslücke

Einen solchen Fall betrifft beispielsweise das Zusammenspiel von § 4 Absatz 1 Satz 2 EStG mit § 6 Absatz 1 Nummer 4 Satz 1 EStG. § 4 Absatz 1 Satz 2 sieht eine außerbilanzielle Korrektur auch bei der Nutzungsentnahme und Leistungsentnahme vor. Eine Bewertungsregelung sieht der § 6 Absatz 1 Nummer 4 Satz 1 EStG aber nur für den Fall der Entnahme von Wirtschaftsgütern im engeren Sinne vor. Zwingend notwendig ist es aber auch Nutzungsentnahmen und Leistungsentnahmen zu bewerten. Ohne Bewertung kann keine außerbilanzielle Korrektur erfolgen. Daher ist eine richterrechtliche Rechtsfortbildung zwecks Bewertung der anderen Entnahmevarianten erforderlich.

2.3. Hauptanwendungsfall des Ausfüllens von Gesetzeslücken

Der Hautpanwendungsfall der Lückenschließung eines Gesetzes durch Rechtsfortbildung liegt vor, wenn sich nach dem Telos der Norm die Unvollständigkeit des Gesetzes ergibt. Dann kommt der Rechtsanwender zu dem Ergebnis, dass der rechtlich zu würdigende Sachverhalt nicht mehr von dem Wortlaut der Norm umfasst ist, diese Norm aber eigentlich nach ihrem Gesetzeszweck auf den Sachverhalt anwendbar sein sollte.

2.4. Unterscheidung der Gesetzeslücken in zeitlicher Hinsicht

In zeitlicher Hinsicht lassen sich die Gesetzeslücken in anfängliche, also dem Gesetzgeber an sich erkennbare, und nachträgliche Lücken unterteilen. Nachträgliche Lücken können sich zum einen durch bei Normerlass noch nicht vorhersehbare wirtschaftliche oder technische Entwicklungen ergeben. Sie können aber auch aus rechtsdogmatischen Erkenntnisfortschritten – wie Änderungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung – entstammen, wenn der Gesetzgeber den Regelungsbedarf noch anhand des traditionellen Rechtsprechungsansatzes abgeschätzt hat. Entsprechendes gilt auch bei einem punktuellen Anwendungsvorrang des EU-Rechts.

Der Rechtsanwender darf und muss grundsätzlich sowohl anfängliche und auch nachträgliche, planwidrige Regelungslücken durch Rechtsfortbildung schließen. Hinsichtlich schon im Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses bestehenden, anfänglichen Gesetzeslücken ist allein der Begründungsaufwand für die Darlegung der Planwidrigkeit höher.

3. Planwidrigkeit der Gesetzeslücke erforderlich

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass eine Gesetzeslücke, die der Rechtsfortbildung zugänglich ist, nur dann vorliegen kann, wenn sie planwidrig ist. Daher ist die planwidrige Unvollständigkeit trennscharf von dem bewussten Regelungsverzicht zu unterscheiden. Bewusster Regelungsverzicht liegt vor, wenn der Gesetzgeber absichtlich bestimmte Bereiche von bestimmten Rechtsfolgen ausgenommen hat. Ein bewusster Regelungsverzicht liegt beispielsweise hinsichtlich Steuervergünstigungen vor, die sich auf bestimmte Investitionen beschränken.

In diesem Fall darf der Rechtsanwender seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen. Setzt er sich so über den Willen des Gesetzgebers hinweg, liegt unzulässige Rechtsschöpfung contra legem vor. Die gewollte Lücke kann einen Gleichheitsverstoß und damit die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung begründen. Dies darf aber lediglich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) feststellen.

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4. Vergleichbarkeit der Sachverhalte

Erforderlich für eine Analogie ist, dass sich in einer bestimmten Rechtsnorm oder in einer Kombination von Rechtsnormen eine gesetzgeberische Wertung manifestiert. Im Licht dieser gesetzgeberischen Wertung muss der nicht wortlautgedeckte Sachverhalt dem geregelten Fall so ähnlich erscheinen, dass die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge auch auf den ungeregelten Fall zu erstrecken ist.

Die gesetzgeberische Wertung kann in einer steuerartspezifischen Grundwertung gerechter Lastenausteilung (also in einem Fundamentalprinzip der Besteuerung) liegen. Bei Sozialzwecknormen kommt als gesetzgeberische Wertung aber auch eine Vorrangwertung zugunsten von Lenkungszielen, eine Vorrangwertung zwischen gegenläufigen Prinzipien oder eine der Verwaltungspraktikabilität geschuldete Wertung in Betracht.

Stets kommt es darauf an, ob der von dem Wortlaut nicht erfasste Sachverhalt mit dem gesetzlich geregelten wertungsmäßig vergleichbar ist. Die analoge Anwendung darf nicht zu einer Vertiefung des im Gesetz bereits angelegten Gleichheitsverstoßes führen. Ungerechtfertigte, nicht durch hinlängliche Gemeinwohlerwägungen legitimierte Steuerprivilegien sind nicht analogiefähig.

5. Analogieverbot im Steuerrecht?

5.1. Die Probleme des Analogieverbots im Steuerecht

Ob ein teilweises Analogieverbot im Steuerrecht existiert, ist erheblich umstritten. Problematisch ist bei der Beurteilung der Analogie im Steuerrecht, dass Steuerrecht Eingriffsverwaltung des Staates ist. Eingriffe in Grundrechte des Bürgers bedürfen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Bei Vorliegen einer Gesetzeslücke trifft bei Zulässigkeit der Analogie nicht der Gesetzgeber die Entscheidung über den Geltungsbereich einer Norm. Den Geltungsbereich bestimmt vielmehr die Judikative oder Exekutive im Rahmen der Rechtsfortbildung. Mithin stellt sich die Frage, ob dies mit dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar ist.

Demgegenüber könnte aber auch der Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 Absatz 1 GG) es gerade gebieten, eine Analogie zuzulassen, um vergleichbare Sachverhalte gleich und nicht vergleichbare Sachverhalte ungleich zu behandeln.

Sollte eine Analogie im Steuerrecht zulässig sein, so stellt sich in einem weiteren Schritt die Frage, ob insbesondere an eine steuerverschärfende Rechtsfortbildung erhöhte Anforderungen zu stellen sind.

5.2. Argumentation für ein Analogieverbot

Teils wird für das Steuerrecht ein Verbot steuerschärfender Rechtsfortbildung angenommen. Dafür spricht nach den Vertretern dieses Analogieverbots vor allem das Demokratieprinzip sowie die rechtsstaatlichen Grundsätze der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit. Sie argumentieren, dass es sich bei der strafschärfenden Rechtsfortbildung um eine administrative oder judizielle Selbstermächtigung zu freiheitsbeschränkenden Eingriffen über den gesetzlichen Rahmen hinaus handelt.

5.3. Argumentation gegen ein Analogieverbot

Seit 1982 wird jedoch das Verbot steuerstrafschärfender Rechtsfortbildung als verfehlter Sonderweg des Steuerrechts gegenüber sonstigem Verwaltungsrecht abgelehnt. Auch das BVerfG hat sich inzwischen von einem Analogieverbot im Steuerrecht distanziert. Der Bundesfinanzhof (BFH) konnte zu diesem Thema bis auf weiteres keine einheitlichen Maßstäbe treffen.

Gegen ein Analogieverbot sprechen, die Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes. Diese gebieten es vielmehr, Rechtsfortbildung zur Schließung teleologischer Lücken im Normtext zuzulassen, wenn es sonst zu Wertungswidersprüchen käme. Die Analogie führt dazu, dass eigentlich nicht von der Regelung erfasste Fälle gleich behandelt werden, sofern und soweit sie im Lichte der ratio legis vergleichbar sind. Umgekehrt wird im Falle der teleologischen Reduktion die Gleichbehandlung von nicht Vergleichbaren durch Einfügung einer im Gesetzestext nicht vorgesehenen Ausnahmeregelung vermieden.

Zu einer solchen Schließung von Gesetzeslücken sind die Verwaltung und die Rechtsprechung in hinreichendem Maße funktionell und personell demokratisch legitimiert. Die sachliche Legitimation ergibt sich aus der erforderlichen Rückbindung an erkennbare gesetzgeberische Wertungen und Zielsetzungen. Es handelt sich damit nur um bloße Randkorrekturen des geschrieben Steuerrechts. Daher steht der im Demokratieprinzip und Gewaltenteilungsprinzip wurzelnde Gesetzesvorbehalt der Korrektur nicht entgegen.

Eine solche Erwartungshaltung an die Rechtsfortbildung hat der Gesetzgeber zumindest für die höchstrichterliche Rechtsprechung im Steuerrecht in den §§ 11 Absatz 4, 115 Absatz 2 Nummer 2 FGO auch explizit zum Ausdruck gebracht. Generell ausgeschlossen ist nur eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung zu Lasten des Steuerpflichtigen. Untersagt ist es daher auch beispielsweise unter Rückgriff auf das Leistungsfähigkeitsprinzip neuartige Steuern beziehungsweise Steuerarten zu erfinden. Insoweit hat vielmehr der Gesetzgeber alle wesentlichen Feststellungen selbst zu treffen. Dazu gehört beispielsweise die Feststellung, dass Katzen nicht der Hundesteuer unterliegen. Eine entsprechende Entscheidung des Gesetzgebers ist auch darin zu sehen, dass Gewinne aus der Veräußerung von privat verwaltetem Erwerbsvermögen jenseits der §§ 20 Absatz 2, 23 Absatz 1 EStG nicht einkommensteuerbar sind.

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6. Erhöhte Anforderung an die Analogie im Steuerrecht?

Ein im Wortlaut des Gesetzes vorgesehener Eingriff in die Grundrechte des Steuerpflichtigen ist für den Steuerpflichtigen und für seinen Berater typischerweise in höherem Maße vorhersehbar als eine Rechtsanwendung jenseits des Wortlauts der Norm. Der Wortlaut einer Norm hat Orientierungsfunktion für den Steuerpflichtigen. Daher stellt sich die Frage, ob an eine Rechtsfortbildung zulasten des Steuerpflichtigen – wenn sich beispielsweise für ihn eine Steuerlastverschärfung ergibt – erhöhte Anforderungen zu stellen sind.

Drängt sich die Lückenhaftigkeit des geltenden Rechts schon anhand des Gesetzestextes auf, so kann der Steuerpflichtige auch nicht rechtssicher darauf vertrauen, die Lücke würde nicht geschlossen. Insoweit kann er sich daher nicht auf Rechtssicherheit und Planungssicherheit berufen. Die Lückenhaftigkeit des geltenden Rechts drängt sich auf, wenn die Regelung normlogisch lückenhaft ist.

Von einer steuerverschärfenden Rechtsfortbildung ist ferner abzusehen, wenn dem unvollständigen Normenkomplex kein eindeutig zu bestimmender, von den verallgemeinerungsfähigen Wertungen getragener Normzweck zugrunde liegt. Ein fehlender Normzweck liegt beispielsweise vor, wenn sich die fragliche Norm nicht an übergeordneten Regelungszielen oder Strukturprinzipien orientiert. Dies gilt auch, wenn der Normenbestand hinsichtlich des Regelungsanliegens ambivalent ist und damit ein etwaiger Wertungswiderspruch zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht mit hinreichender Überzeugungskraft begründet werden kann.

Eine Analogie zulasten des Steuerpflichtigen ist daher zusammenfassend nur dann möglich, wenn

  1. Eine Gesetzeslücke vorliegt,
  2. diese planwidrig ist,
  3. der geregelte und der nichtgeregelte Sachverhalt vergleichbar sind,
  4. die Gesetzeslücke sich aufdrängt.

Weitere Einschränkungen bedarf es nicht. Zwar kommt auch eine hinreichend vorhersehbare Rechtsfortbildung nicht an die Rechtsanwendung im Rahmen des Wortsinns heran. Die verbleibende, relativ geringe Einbuße an Normenklarheit ist aber zwecks Verwirklichung einer gleichheitskonformen Besteuerung hinzunehmen.

7. Rechtsinstitute neben der Analogie

7.1. Erst-Recht-Schluss

Mit einer Analogie eng verwandt ist der Erst-Recht-Schluss. Ihm liegt zugrunde, dass, wenn für Tatbestand A die Rechtsfolge eintritt, diese erst recht für Tatbestand B gelten muss. Hierbei gilt es zwei Varianten: den Schluss vom Größeren auf das Kleinere und den Schluss von dem Kleineren auf das Größere.

7.2. Teleologische Reduktion

Die teleologische Reduktion kommt zur Anwendung, wenn der Wortlaut der Norm zu weit geraten ist. Die teleologische Reduktion ist auf die Vermeidung von Wertungswidersprüchen durch Ungleichbehandlung von wertungsmäßig Verschiedenem gerichtet. Im Wege der teleologischen Reduktion wird dann ein Ausnahmetatbestand erschaffen.


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