Wirecard Skandal

Haftung der BaFin

Haftung der BaFin im Wirecard Skandel

Oftmals wird vorgetragen, auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hätte im Wirecard Skandal ihre Pflichten verletzt. Somit soll auch sie den Anlegern auf Ersatz haften. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nunmehr aber entschieden, dass sie nicht haftet. Wir erklären, was die BaFin eigentlich ist, welche Pflichten sie hat und warum sie diese nach der Rechtsprechung des BGHs nicht verletzt hat, so dass es nicht zur Haftung der BaFin kommt.

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Unser Video: Interview mit Rechtsanwalt Markus Mingers über den Wirecard Aktienverlust.

In diesem Video erklären wir, welche Ansprüche beim Wirecard Aktienverlust in Betracht kommen.

Inhaltsverzeichnis


1. Wirecard Skandal

Die Wirecard AG wurde 1999 gegründet und im September 2018 in den Deutschen Aktienindex (DAX) aufgenommen. Das Unternehmen erbrachte gemeinsam mit diversen Tochterunternehmen informationstechnische Dienstleistungen im Zusammenhang mit elektronischen Zahlungsverkehr. Es war selbst jedoch weder Zahlungsdienstleister noch Kreditinstitut. Die Wirecard AG unterlag der Finanzmarktaufsicht und der Bilanzkontrolle durch die BaFin. Die Jahresabschlüsse sowie Lageberichte der Wirecard AG hatte der Abschlussprüfer, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, bis einschließlich für das Geschäftsjahr 2018 jeweils mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk testiert.

Die Veröffentlichung des Jahresabschlusses und des Konzernabschlusses 2019 wurde mehrfach verschoben. Am 18. Juni 2020 veröffentlichte die Wirecard AG eine Ad-hoc-Mitteilung, wonach der Abschlussprüfer mitgeteilt habe, dass über die Existenz von im Konzernabschluss zu konsolidierenden Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt EUR 1,9 Mrd. noch keine ausreichenden Prüfungsnachweise vorlägen. Es beständen Hinweise, dass dem Abschlussprüfer unrichtige Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken vorgelegt worden sein. Der Betrag von EUR 1,9 Mrd. machte etwa ein Viertel der Konzernbilanzsumme aus.

Am 22. Juni 2020 gab der Vorstand der Wirecard AG mittels einer weiteren Ad-hoc-Mitteilung bekannt, dass vermeintliches Vermögen in Höhe von EUR 1,9 Mrd. bei zwei Banken auf den Philippinen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehe. Drei Tage darauf beantrage die Wirecard AG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Dieses wurde am 25. August 2020 durch das Amtsgericht München eröffnet. Bereits in den Jahren zuvor hatte es immer wieder Medienberichte, insbesondere in der „Financial Times“ über diverse Unregelmäßigkeiten im Wirecard-Konzern gegeben.

2. BaFin als Bundesbehörde

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist eine Bundesbehörde. Sie übernimmt Kontroll- und Aufsichtstätigkeiten. Gegenstand der Aufsicht sind neben der Bilanzkontrolle die Marktmissbrauchsüberwachung. Damit nimmt sie eine öffentliche Aufgabe wahr und soll der Allgemeinheit dienen, sowie den Staat und die Gesellschaft im Bestehen und in der Fortentwicklung sichern.

Aus diesem Aufgabenbereich folgt schon, dass die Haftung der BaFin im Wirecard Skandal problematisch ist. Der Ersatzanspruch setzt den haftungsbegründenden Drittschutz der Amtspflicht voraus. Diese Pflicht muss gerade dem Geschädigten gegenüber zum Schutz bestehen. Der nationale Gesetzgeber hat aber den Drittschutz in § 4 Absatz 4 FinDAG für einzelne Anleger ausgeschlossen.

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3. Haftung der BaFin nach Rechtsprechung des BGH

3.1. Instanzenzug

Das Landgericht hat die auf Zahlung gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Der BGH hat die klageabweisenden Urteile der Instanzengerichte bestätigt. Es sind jedoch weitere Verfahren zur Haftung der BaFin anhängig.

3.2. Grund, über die Haftung der BaFin nachzudenken

Bei den Entscheidungen geht es in der Sache darum, ob die BaFin nach der Insolvenz der Wirecard AG wegen den bei den Anlagern eingetretenen massiven Aktienverlusten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann. Dabei stehen mehrere Pflichtverletzungen im Raum. Insbesondere hat der Kläger geltend gemacht, die BaFin hätte über Jahre hinweg ihre gesetzliche Pflicht zur Aufklärung, Untersuchung, Verhinderung und Anzeige von Marktmanipulationen der Wirecard AG und zur zutreffenden, vollständigen Information der Öffentlichkeit und des Kapitalmarkts verletzt. Sie hat konkrete Hinweise auf Verstöße der Wirecard AG gegen Rechnungslegungsvorschriften weder zum Anlass pflichtgemäßer Prüfung noch sachgerechter Information der Öffentlichkeit genommen. Sie hätte die Bilanzkontrolle bei der Wirecard AG an sich ziehen müssen.

3.3. Verfahren zur Bilanzkontrolle nach dem WpHG

Im Rahmen der Kontrolle der Bilanzen sieht das WpHG eine zweistufige Kontrolle und Kompetenzverteilung vor. Zunächst prüft dabei die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). Bei der DPR handelt es sich um eine vom Bundesministerium der Justiz anerkannte privatrechtlich organisierte Einrichtung in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins.

Nur in Ausnahmefällen muss die BaFin auf einer zweiten Stufe Prüftätigkeit entfalten. Nach § 108 Absatz 1 Satz 2, § 107 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. ordnete die BaFin eine Prüfung der Rechnungslegung in eigener Zuständigkeit an, soweit konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften vorlagen und zugleich ihr die Prüfstelle berichtete, dass ein Unternehmen seine Mitwirkung bei einer Prüfung verweigerte oder mit dem Ergebnis der Prüfung nicht einverstanden war (§ 108 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 WpHG a.F.) beziehungsweise erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Prüfungsergebnisses der Prüfstelle oder an der ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung durch die Prüfstelle bestanden (Nr. 2). Dies gilt unter anderem, wenn das geprüfte Unternehmen die Kooperation mit der Prüfstelle verweigerte oder erhebliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung durch die Prüfstelle bestanden.

Für diese Fälle hat die BaFin nach der gesetzlichen Festlegung („konkrete Anhaltspunkte“, „erhebliche Zweifel“) einen Beurteilungsspielraum. Dieser Beurteilungsspielraum führt dazu, dass die Handlungen nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu prüfen sind. Dabei ist die ex-ante-Sicht entscheidend. Die Vertretbarkeit darf nur dann abgelehnt werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die betreffende Entscheidung nicht mehr verständlich ist.

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Unser Video: Wirecard: Gericht befindet Jahresabschlüsse für nichtig!

In diesem Video erklären wir, welche Auswirkungen die Nichtigerklärung der Jahresabschlüsse 2017 und 2018 haben.

3.4. Keine Haftung der BaFin

3.4.1. Hinweise für Unregelmäßigkeiten

Der BGH hat sich mit den unterschiedlich deutlichen Hinweisen auf wirtschaftliche Schwierigkeiten und Probleme der Wirecard AG unter anderem aus der Presse in unterschiedlichen Zeiträumen vor der Insolvenz und den eingeleiteten und durchgeführten Aktivitäten der BaFin auseinandergesetzt.

Die Financial Times veröffentlichte am 30. Januar und am 01. und 07. Februar 2019 unter Bezugnahme auf interne Dokumente der Wirecard AG und Untersuchungen der Rechtsanwaltskanzlei R. & T. Singapore LLP den Verdacht, dass Umsätze von asiatischen Tochtergesellschaften in Kenntnis von Vorstandsmitgliedern der Wirecard AG durch Scheingesellschaften vorgetäuscht und zu Unrecht bilanziert worden seien. Daraufhin wurden in Singapur Räumlichkeiten der Wirecard-Tochtergesellschaft durchsucht.

3.4.2. Keine Pflichtverletzung der BaFin

Die BaFin eröffnete bereits am 01. Februar 2019 Untersuchungen wegen Marktmanipulationen sowohl durch Marktteilnehmer als auch durch die Wirecard AG. Sie richtete Amtshilfeersuchen unter anderem an die Aufsichtsbehörde in Singapur und forderte die Wirecard AG am 08. Februar 2019 und am 28. März 2019 auf, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Am 15. Februar 2019 verlangte die BaFin von der Prüfstelle die Prüfung des verkürzten Konzernabschlusses der Wirecard AG einschließlich des Lageberichts zum 30. Juni 2018. Am 29. März 2019 ersuchte die Wirecard AG um Vorlage des Abschlussberichts der Rechtsanwaltskanzlei R & T Singapore LLP, der ihr am 29. Juli 2019 übermittelt wurde.

Dadurch hat die BaFin zum einen Ermittlungsmaßnahmen im Sinne des § 6 Absatz 3 WpHG ergriffen und zum anderen von der Prüfstelle die Prüfung des verkürzten Konzernabschlusses zum 30. Juni 2018 gemäß § 108 Absatz 2, § 107 Absatz 1 Satz 1 WpHG verlangt.

Vor dem Hintergrund, dass die Wirecard AG gerade wegen der erhobenen Vorwürfe die Rechtsanwaltskanzlei R. & T. Singapore LLP mit externen Untersuchungen beauftragt hatte, war es jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft, dass die BaFin zunächst versuchte, unter Beteiligung der Wirecard AG zu ermitteln und den Sachverhalt aufzuklären. Das Absehen von einer Durchsuchungsmaßnahme nach § 6 Absatz 12 WpHG a.F., um Dokumente und Daten sicherzustellen beziehungsweise zu beschlagnahmen, war in diesem (frühen) Verfahrensstadium zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit vertretbar.

Hinzukommt, dass sich die Ermittlungen auf Auslandsachverhalte bezogen. Deshalb war es zweckmäßig, die Aufklärung durch die zuständigen Behörden in Singapur zunächst abzuwarten, da dort bereits Durchsuchungsmaßnahmen stattgefunden hatten. Zudem war die Prüfung durch die Prüfstelle noch im Gange. Weiterhin war der am 24. April 2019 aufgestellte Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2018 mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers versehen.

3.4.3. Folge: Keine Haftung der BaFin

Der BGH nahm unter diese Erwägungen an, dass die Maßnahmen der BaFin zur Marktüberwachung und Bilanzkontrolle nicht zu beanstanden sind, also jedenfalls gut vertretbar waren. Beachtenswert sind dabei die Ausführungen dazu, dass die BaFin durch ihr Vorgehen die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden nicht gefährden darf. Deswegen muss sie die Behörden über ihren Wissensstand informieren. Demgegenüber muss sie mit eigenen Handlungen und Ermittlungen aber eher zurückhaltend sein. Dies wirkt sich auf den Inhalt und den Umfang der Amtspflicht der BaFin einschränkend aus.

Ferner ist nicht zu prüfen, ob die Regelung des § 108 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 WpHG dem Artikel 24 der Transparenz-Richtlinie widersprach und deshalb die Norm dahingehend auszulegen ist, dass bereits einfache Zweifel eine unmittelbare Prüfungspflicht der BaFin begründeten. Es lägen weder erhebliche Zweifel noch einfache Zweifel vor. Die Entscheidung der Beklagten, die Bilanzprüfung der DPR zu überlassen war jedenfalls vertretbar. Damit ist eine Haftung der BaFin abzulehnen.

3.5. Offenbleibende Fragen

Der BGH hat nicht weiter geprüft, ob die Aufgabenwahrnehmung durch die BaFin Drittschutz für die einzelnen Geschädigten vermittelt. Der § 4 Absatz 4 FinDAG lehnt den Drittschutz grundsätzlich ab. Es kommt daher zentral auf die Vereinbarkeit dieser Norm mit dem europäischen Recht an. Dies sah der BGH aber im Streitfall als nicht entscheidungserheblich an, so dass es auch nicht zur Vorlage an den EuGH kam. Diese Frage ist daher weiterhin offen geblieben. Möglich war die Nichtbeantwortung, weil der BGH keine Pflichtverletzung annahm. Ist die Pflicht schon nicht verletzt, so kommt es nicht darauf an, ob die Pflicht drittschützend ist.

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4. Keine Haftung der BaFin: Auswirkungen für die Praxis

Der BGH hat die vertretbaren Handlungen der BaFin aufgearbeitet. Dadurch dürfte eine Vorentscheidung hinsichtlich weiterer Verfahren im Wirecard Skandal getroffen sein. Es ist nicht zu erwarten, dass der BGH in anderen Verfahren nun zu einer Unvertretbarkeit und damit zur Haftung kommt. Die rechtliche Behandlung der Haftung der BaFin dürfte damit ein Ende gefunden haben.

In der Sache macht es sich der BGH allerdings deutlich zu leicht. Zweifel jedweder Art an einer ordnungsgemäßen Prüfung durch die DPR mussten sich schließlich der BaFin zwingend aufdrängen. Denn die BaFin als Kooperationspartner der DPR wusste, dass eine Prüfung auf ihr Verlangen hin wie bei Wirecard in den Vorjahren zwischen 8,0 und 8,4 Monaten gedauert hatte. Diese Zahlenwerte standen zudem sogar auf der Homepage der DPR. Dementsprechend drängten sich ab Zeitüberschreitung dieser 8,0 oder 8,4 Monate durch die DPR selbstverständlich Zweifel auf (gleich ob einfache oder erhebliche).

In der Presse zitierte interne Mails zeigten, dass die BaFin überhaupt erst im Mai 2020 nachfragte, warum die Prüfung so lange dauere. In der Antwort offenbarten sich absolut chaotische Zustände in der DPR offenbart wurden. Auch hiernach mussten sich Zweifel aufdrängen und zum Handeln zwingen. Daher war es von Seiten der BaFin gerade im Lichte der BGH-Rechtsprechung schlechterdings unvertretbar, nicht einmal im Mai 2020 zügig zu handeln und das Prüfverfahren an sich zu ziehen. Diese Sachfragen behandelten allerdings schon die Vorinstanzen nicht hinreichend. Grund dafür ist wahrscheinlich der fehlende Klägervortrags dazu. Ferner ist die Klärung der Reichweite des § 4 Absatz 4 FinDAG sehr wohl von grundsätzlicher Bedeutung.

Es scheint daher als sei die Entscheidung Ergebnis einer tragischen Verbindung von ungenauer Recherche und dementsprechend lückenhaftem Sachvortrag des Klägers mit gleich mehreren Instanzen, die den Fall erkennbar zügig vom Tisch haben und die Amtshaftung und den Anspruchsausschluss des § 4 Absatz 4 FinDAG nicht auf den Prüfstand stellen wollten.


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