Zinssatz bei Zinsen auf Steuern ist verfassungswidrig!
Endlich hat das BVerfG entschieden: Die bisherige Zinshöhe ist verfassungswidrig, weswegen auch die Regelung zur Verzinsung im Steuerrecht neu überarbeitet werden muss. Da sich solche Verfahren am BVerfG immer lange hinziehen, gab es bereits in der Vergangenheit Verwaltungsanweisungen dazu und auch mehrere Anmerkungen des BFH. Jedenfalls hat das BVerfG entschieden, dass für Zeiträume ab 2014 die Zinshöhe von 6 % p.a. verfassungswidrig aufgrund einer strukturellen Niedrigzinsphase verfassungswidrig ist. Wie es dazu kam, wie es umgesetzt wird und was das für Sie ganz konkret bedeutet, lesen Sie in diesem Beitrag.
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Klage vor dem BFH
In diesem Video erklären wir, wie die Klage vor dem Finanzgericht und wie die Revision vor dem BFH funktioniert.
Inhaltsverzeichnis
1. Ausgangslage des Zins-Urteils
Das am 8. Juli 2021 ergangene Urteil des Bundesverfassungsgericht (kurz: BVerfG) (Aktenzeichen 1 BvR 2237/14 sowie 1 BvR 2422/17) – veröffentlicht durch Pressemitteilung Nr. 77/2021 vom 18. August 2021 – zu der Zinshöhe bei Steuerverzinsungen stellte fest, dass die bisher geltende Zinshöhe i.H.v. 0,5 % im Monat (6 % p.a.) gem. § 238 AO verfassungswidrig ist.
Im Grunde genommen ist die Zinshöhe von 6 % pro Jahr (p.a.) verfassungswidrig, weil wir uns in einer momentanen Niedrigzinsphase befinden – Geld war noch nie so billig.
Bereits in einem früheren Beitrag hatten wir dieses Thema mal besprochen – damals lag noch kein Urteil vor.
1.1. Überblick über die geltenden Regelung zu den Steuerzinsen
Wie genannt beträgt der bisherige Zinssatz für die Verzinsung 0,5% pro vollendeten Monat. Der Zinszeitraum – ab wann die vollendeten Monate gezählt werden – beginnt erst nach dem 15. Monat nach Steuerentstehung (sog. Karenzzeit). Die Einkommensteuer 2020, welche mit Ablauf des Kalenderjahres 2020 entsteht, wird erst mit Ablauf des 15. Monats verzinst; also ab dem 1. April 2022.
Der erste vollendete Monat wäre somit der April 2022, wenn der Steuerbescheid bspw. im Mai 2022 ergeht. Die Verzinsung gilt zu Gunsten (Verzinsung von Steuererstattungen) und zu Ungunsten (Verzinsung von Steuernachforderungen) des Steuerpflichtigen.
Nicht mit eingeschlossen sind – zumindest im bisher ergangenen Urteil – Verzinsungen aufgrund von bspw. Steuerhinterziehungen, Steuerverkürzungen, Stundungszinsen oder Prozesszinsen.
1.2. Vorangegangene Zweifel und bisherige Verwaltungsanweisungen bis zum Urteil
Auch der BFH sah den Umstand, dass der Zinssatz von 6 % p.a. verfassungswidrig sein könnte, schon früher so an. Bereits mit den Urteilen v. 25. April 2018, IX B 21/18 und vom 3. September 2018, VIII B 15/18 hat er die Zinshöhe angezweifelt – das Verfahren lief zu diesem Zeitpunkt bereits vor dem BVerfG, sodass auch der BFH hier nicht mehr machen konnte als abwarten.
Die Finanzverwaltung reagierte damals schon entsprechend und veranlasste für Verzinsungszeiträume ab dem 01.04.2012 die Aussetzung der Vollziehung ist (BMF-Schreiben vom 14. Dezember 2018, IV A 3 – S 0465/18/10005-01) sowie mit BMF-Schreiben vom 2. Mai 2019 (IV A 3 – S 0338/18/10002) die Steuerbescheide hinsichtlich der Verzinsung nur noch vorläufig (§ 165 AO) ergehen zu lassen. Die o.g. BMF-Schreiben wurden zuletzt am 27. November 2019 geändert.
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2. Feststellungen des BVerfG
2.1. Ungleichbehandlung bei Steuerfestsetzungen bzgl. Verzinsung?
Dem Urteil des BVerfG und der Pressemitteilung ist zu entnehmen, dass das BVerfG bereits eine Ungleichbehandlung von Steuerfestsetzungen darin sieht, dass Festsetzungen in der Karenzzeit ohne Verzinsung erfolgen und eben jene Festsetzungen nach Ablauf der Karenzzeit mit Verzinsung festgesetzt werden. Das BVerfG sieht hier eine ungleiche Behandlung von gleichen Umständen an.
2.2. Gerechtfertigte Ungleichbehandlung
Jedoch, so führt das BVerfG weiter aus, ist diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Zum einen ist der Gesetzgeber angehalten eine Verzinsung von Steuererstattungen und Steuernachforderungen durchzuführen um bspw. einen Zinsvorteil, welchen der Steuerpflichtige möglicherweise erlangt hat und somit nicht das Finanzamt erlangen konnte, auszugleichen – das gilt natürlich auch andersrum.
Zum anderen muss der Gesetzgeber auch irgendwo eine Grenze für den Zinsbeginn ziehen. Hier hat er sich auf die Karenzzeit von 15 Monaten festgelegt. Diese Zeit ist in aller Regel ausreichend um Steuerfestsetzungen zeitnah – mit Blick auf die Abgabefristen der Steuererklärungen – ohne enthaltene Verzinsung durchzuführen.
3. Die Zinshöhe als Problem
3.1. Die Zinshöhe beim in Kraft treten
Das Urteil führt insoweit aus, dass im Zeitpunkt der Gesetzesverabschiedung 1990 – da wurde das Gesetz vom Bundestag beschlossen – die Zinshöhe von 6 % p.a. auch einem üblichen Zins am Geld- und Kapitalmarkt entsprach. Insoweit hatte der Gesetzgeber hier richtig gehandelt und sich an den marktüblichen Verhältnissen orientiert.
3.2. Auslöser des Problems: Finanzkrise 2008 und ihre Folgen
Das BVerfG sieht es als gegeben an, dass ab der Finanzkrise 2008, spätestens aber ab dem Jahr 2014, sich ein konstantes, strukturelles Niedrigzinsniveau eingependelt hat. Dies macht das BVerfG daran fest, dass der Basiszinssatz ab dem Jahr 2013 in den negativ Zinsbereich gefallen ist und auch der marktübliche Diskontsatz im Gegensatz zur Vergangenheit sehr niedrig liegt. Diese Niedrigzinsphase unterliegt nicht mehr den üblichen Zinsschwankungen, wie Sie vor der Finanzkrise waren.
Während die Niedrigzinsphase ab dem Jahr 2008 noch nur kurzfristiger Natur war, war Sie spätestens – durch Marktanalyse und Vergleiche mit dem Basiszinssatz – ab dem Jahr 2014 ein strukturelles Niveau. Deswegen hat das BVerfG auch in seinem Urteil den Zeitraum ab dem Jahr 2014 für verfassungswidrig erklärt – denn ab hier betrug der steuerliche Zinssatz von 6 % p.a. teilweise mehr als das doppelte, was am Markt zu dem Zeitpunkt üblich war.
3.3. Ergebnis des Zins-Urteils
Das BVerfG hat somit Zinszeiträume ab dem 01.01.2014 für verfassungswidrig erklärt. Gleichzeitig hat er dem Gesetzgeber aufgetragen eine Neuregelung für den Zeitraum ab 31.07.2022 zu schaffen. Die bisherige Regelung wird somit ersetzt werden. Ob und inwiefern diese Neuregelung auch rückwirkend gilt, lässt sich am besten in mehreren Fallgruppen darstellen.
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4. Drei Fallgruppen
4.1. Zinszeiträume bis 2013
Für die Verzinsungen bis zum Jahr 2013 werden keine Änderungen eintreten. Dies ist vor allem darin begründet, als dass das BVerfG die Zinshöhe bis 2013 als noch verfassungskonform ansieht – wenn auch einige Zweifel hieran bestehen. Erst ab dem 01.01.2014 besteht eine Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe.
4.2. Zinszeiträume ab 2014 bis 2018
Die Zinsen, welche auf den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.12.2018 entfallen, sind nach Auffassung des BVerfG der Höhe nach verfassungswidrig. Trotz dessen, dass die Zinshöhe verfassungswidrig ist, werden die hierfür ergangenen Steuerbescheide nicht geändert. Hier eingelegte Einsprüche werden abgewiesen (und Aussetzungen der Vollziehung beendet) und Vorläufigkeitsvermerke in Steuerbescheiden werden aufgehoben.
4.3. Zinszeiträume ab 2019
Für Zinszeiträume ab dem 01.01.2019 bis heute wird die Neuregelung maßgeblich sein. Problematisch hieran könnte sein, dass der Steuerbescheid sowohl materiell als auch formell bestandskräftig geworden ist. Wichtig ist hier, dass gegen die Steuerbescheide Einspruch erhoben wurde oder aber die Steuerbescheide mit dem Vorläufigkeitsvermerk ergangen sind. Ohne eine Korrekturmöglichkeit (Einspruch oder Vorläufigkeit) können die Steuerbescheide leider nicht geändert werden.
5. Fazit & Empfehlung
5.1. Schaffung der Neuregelung
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber den Auftrag gegeben bis zum 31.07.2022 eine Neuregelung bzw. eine Überarbeitung der bisherigen Regelung zu schaffen. Die herrschende Meinung und Vorschlag in der Literatur ist, dass der Zinssatz sich zukünftig an dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank orientiert. Somit wäre der Zinssatz in seiner Höhe flexibel, um sich den Gegebenheiten des Kapitalmarkts anzupassen. Das bedeutet kurz: Der Zinssatz von 6 % wird für Zinszeiträume ab dem 01.01.2019 sinken.
5.2. Vor- und Nachteil der Verzinsung
Auf der einen Seite ziehen Steuerpflichtige bei Steuernachzahlungen einen Vorteil daraus, da hier der Zinssatz sinkt und somit auch die insgesamt fällige Steuer. Auf der anderen Seite ist das bei Steuererstattungen zum Nachteil des Steuerpflichtigen; denn während die Erstattung mit 6% verzinst wurde – also sehr hoch! – wird hier nun der Zinssatz gesenkt, was die zu erstattende Steuer senkt.
5.3. Empfehlung
Gegen frühere bzw. offene Steuerbescheide vorzugehen hat also vor allem dann Sinn, wenn Sie eine hohe Steuernachzahlung hatten, die verzinst wurde. Steuererstattungen sollten Sie nach Möglichkeit nicht angreifen – die hohe Verzinsung kam Ihnen ja zu Gute.
Prüfen Sie daher also, ob Sie von den hohen Zinsen profitiert haben – hier sollten Sie die Zinsen sichern – oder ob Sie eine Steuernachzahlung geleistet hatten, welche verzinst wurde. Letzteres müssten Sie per Einspruch oder über den Vorläufigkeitsvermerk angreifen und so den Zinssatz auf die zukünftige Neuregelung abändern (bis zur Neuregelung daher Aussetzung der Vollziehung, ruhen des Verfahrens).
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