Erlass und Niederschlagung: Diese Voraussetzungen gelten
Finanzbehörden – dazu gehören neben Finanz- auch die Hauptzollämter – haben unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit, Steuerschulden aus Billigkeitsgründen oder bei Uneinbringlichkeit abweichend vom materiellen Recht festzusetzen. Alternativ infrage kommen der Erlass nach § 227 und die Niederschlagung nach § 261 AO. Schauen wir uns also einmal an, welche konkreten Umstände für diese verfahrensrechtlichen Eingriffe gegeben sein müssen.

Unser Video: Änderung und Aufhebung der Steuerfestsetzung
In diesem Video erklären wir, unter welchen Voraussetzungen ein Steuerbescheid aufgehoben oder geändert werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1. Allgemeines zu Erlass und Niederschlagung
Entsteht eine Steuer nach materiellem Recht, ist diese vom Steuerschuldner zu entrichten – so könnte man den Zweck eines Steuerbescheides umgangssprachlich zusammenfassen. Die entsprechenden Rechtsgrundlagen finden sich in den Einzelsteuergesetzen wie EStG, UStG und „Exoten“, etwa dem Energiesteuergesetz (EnergieStG). Die schlussendliche Festsetzung und Erhebung der Steuer regelt allerdings die Abgabenordnung (AO).
In der Praxis gibt es allerdings auch Fälle, in denen dieser vergleichbar simple Weg nicht zum gewünschten Erfolg führt. Grund dafür können rechtliche Irrtümer oder Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen sein. Je nach Einzelfall hat das Finanzamt mit abweichender Festsetzung aus Billigkeitsgründen, Erlass und Niederschlagung drei Möglichkeiten, um auf entsprechende Situationen zu reagieren:
- Abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen, § 163 AO: Das Finanzamt kann die Steuer niedriger als nach materiellem Recht entstanden festsetzen oder steuererhöhende Tatsachen außer Acht lassen, wenn die Festsetzung unbillig wäre
- Erlass der Steuer, § 227 AO: Der Erlass ist möglich, wenn die Einziehung respektive Vollstreckung entsprechend § 163 AO „unbillig“ wäre
- Niederschlagung, § 261 AO: Wird die Erhebung oder Vollstreckung der Steuer voraussichtlich keinen Erfolg haben oder unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen, kann das Finanzamt den offenen Steuerbetrag niederschlagen
Obwohl sich alle drei Normen zunächst recht ähnlich anhören, beziehen sie sich jeweils auf völlig unterschiedliche Ausgangslagen. Die Rechtsfolge, die der Steuerpflichtige unmittelbar mitbekommt, ist allerdings in allen Fällen identisch. Denn die Steuer wird entweder erlassen oder nicht in der eigentlich (materiell-rechtlich) anfallenden Höhe festgesetzt. Alternativ kommt es zwar zu einer Festsetzung, an die sich aber keine Erhebung – zu der die Vollstreckung gehört – anschließt.
2. Billigkeit, Erlass und Niederschlagung im Detail
Mit den §§ 163, 227 und 261 AO stehen dem Finanzamt verschiedene Wege offen, im besonderen Einzelfall eine von der bindenden Gesetzesnorm abweichende Festsetzung durchzuführen. Sie sind damit Ausfluss der Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung, nach deren Grundsätzen eine Behörde im Einzelfall und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unbillige Härten für Steuerpflichtige abmildern kann. Ein Nebenzweck einzelner Normen ist die Verwaltungsökonomie, beispielsweise bei der Durchsetzung und Vollstreckung von Steueransprüchen, wenn offensichtlich „nichts zu holen“ ist.
Dabei ist § 163 AO, die Billigkeit, von § 227 AO, dem Erlass, zu unterscheiden. Denn während die Billigkeitsfestsetzung eine Maßnahme im Festsetzungsverfahren ist, stellt der Erlass eine entsprechende Entscheidung im Rahmen des Erhebungsverfahrens dar.

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2.1. Die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO
Nach § 163 Absatz 1 AO kann das Finanzamt
- Steuern niedriger festsetzen oder
- einzelne, die Steuer erhöhende, Merkmale außer Acht lassen,
wenn eine dem Einzelsteuergesetz entsprechende Festsetzung unbillig wäre. Die Billigkeitsmaßnahme des Absatzes 1 ist dabei in der Regel mit der Festsetzung zu verbinden, auf die sie sich bezieht (§ 163 Absatz 2 AO). Der Steuerpflichtige erhält dann beispielsweise einen Steuerbescheid, in dessen Begründung auf die Anwendung des § 163 AO hingewiesen wird. Außerdem erhält ein solcher Verwaltungsakt eine Begründung, denn das Finanzamt muss einzelfallbezogene Vorschriften zu Billigkeit und Erlass ermessensgerecht anwenden (§ 5 AO).
Ausgeschlossen ist insbesondere eine Bevor- oder Benachteiligung einzelner Steuerpflichtiger. Wendet die Behörde § 163 AO auf einen Fall an, muss sie ihn bei vergleichbaren Sachverhalten ebenfalls prüfen. Entsprechend selten kommt es in der Praxis zu einer abweichenden Festsetzung.
Die Billigkeitsentscheidung ist Grundlagenbescheid für die anschließende Steuerfestsetzung. Sie ermöglicht daher auch eine Änderung nach § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 AO. Dabei gilt der Grundsatz: „Billigkeit ist Gerechtigkeit im Einzelfall“. Entsprechend enthält § 163 Absatz 1 AO keine abschließende Aufzählung von Sachverhalten, in denen von Unbilligkeit auszugehen ist. Möglich und vom Bundesfinanzhof (BFH) entschieden wurde eine Billigkeitsfestsetzung aber beispielsweise
- bei der Umsatzsteuer: Wenn die Versagung eines erheblichen Vorsteueranspruchs zu ungerechtfertigten Nachteilen führen würde, kann er im Einzelfall zugelassen werden, auch wenn die Rechnung nicht alle Voraussetzungen des § 14 UStG erfüllt.
- im Rahmen der Einkommensteuer: Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer hohen Steuerschuld nur deshalb, weil Vorjahresverluste durch Formfehler nicht mit den Gewinnen verrechenbar sind.
- im Rahmen der Grunderwerbsteuer: Entsteht Grunderwerbsteuer durch die Umwandlung einer Produktionsgenossenschaft in eine eingetragene Genossenschaft, kann dieser Vorgang unbillig sein,
Praktisch gibt es viele weitere Anwendungsfälle, die von FA und BFH aber stets restriktiv geprüft werden.
2.2. Der Erlass von Steuerschulden nach § 227 AO
Ein Erlass offener Steuerschulden ist nach § 227 AO möglich, wenn und soweit ihre Einziehung im Einzelfall unbillig wäre. Entsprechendes gilt, wenn der Steuerpflichtige bereits gezahlt hat, für Anrechnung und Erstattung der entsprechenden Beträge.
Der Erlass von Abgaben stellt einen Nichtvollzug des materiellen Steuerrechts im Einzelfall dar. Die Norm ist entsprechend restriktiv zu handhaben und immer unter dem Gesichtspunkt einer Gerechtigkeit im Einzelfall zu sehen. Mit der Stundung von Abgaben (§ 222 AO) hat der Steuerpflichtige eine wirkungsvolle Möglichkeit, auf vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten zu reagieren. Die Stundung hat daher, wenn sie in Betracht kommt, immer Vorrang vor einem eventuellen Erlass.
Maßgeblich ist, dass der rechtmäßige Vollzug eines Einzelsteuergesetzes zu einer vom Gesetzgeber – hätte er den konkreten Einzelfall berücksichtigt – ungewollten steuerlichen Belastung führt. Das kann beispielsweise in den Fällen des § 11 Absatz 1 EStG einschlägig sein. Führt die korrekte Anwendung der Norm dazu, dass die Gewinne mehrerer Jahre in einem Wirtschaftsjahr zu versteuern sind und kommt es dadurch zu einer unverhältnismäßig hohen gebündelten Steuerlast, kann für einen Teil der Steuer der Erlass nach § 227 AO infrage kommen.
Auch im Finanzamt arbeiten Menschen, sodass hier Fehler passieren können. Im Einzelfall resultiert hieraus aber die Möglichkeit eines Erlasses nach § 227 AO. Der BFH hat beispielsweise entschieden, dass es dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspricht, wenn das Finanzamt einen Anspruch durchsetzen möchte, der im Ergebnis nur aufgrund behördlichen Fehlverhaltens – zum Beispiel einer Auskunft zur Umsatzsteuerbefreiung eines Umsatzes – entstanden ist (FG Brandenburg, 4.4.1995 – 4 K 659/93 U).
2.3. Persönliche Gründe für den Erlass und Erlasswürdigkeit
Neben sachlichen gibt es aber auch persönliche Gründe für einen Erlass entstandener Steuerschulden. Gleichwohl kommt der Erlass nach § 227 AO nur infrage, wenn der Steuerpflichtige auch erlasswürdig ist – die entsprechende Notlage also nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat.
Der gewissermaßen „klassische“ Erlass aus persönlichen Gründen erfolgt, wenn die Erhebung der Steuer die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernsthaft gefährden würde. Entsprechendes gilt daher auch für Personen- und Kapitalgesellschaften, wobei es hier auf die Möglichkeit der Weiterführung des Geschäftsbetriebes ankommt. Allerdings kann sich, etwa bei persönlicher Haftung, eine mittelbare Betroffenheit des Steuerpflichtigen auch aus der Vollstreckung gegen eine Personengesellschaft ergeben.
Bei Ehen, Lebenspartnerschaften und Familien sind im Rahmen der persönlichen Betroffenheit auch die Verhältnisse der Familienmitglieder zu berücksichtigen. So kann die Erhebung der Steuer zwar den Steuerpflichtigen selbst nur leicht treffen, gleichzeitig aber zu einer wirtschaftlichen Notlage seiner engen Angehörigen führen. In einem solchen Fall läge Unbilligkeit vor, die einen teilweisen Erlass der offenen Steuerforderungen bedingen kann.
Steuerpflichtige müssen dem Erlass ihrer Steuerschulden nach herrschender Meinung und Rechtsprechung außerdem „würdig“ sein. So soll steuerunehrliches Verhalten, gezeigt beispielsweise durch eine Steuerhinterziehung, den Erlass in der Regel ausschließen. Entsprechendes gilt für die Verletzung steuerlicher Pflichten, etwa in Form der Nichtabgabe einer vorgeschriebenen Erklärung. Auch eine selbst herbeigeführte Leistungsunfähigkeit kann Erlassunwürdigkeit zur Folge haben (BFH, Urteil vom 14.11.1957, IV 418/56 U).

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2.4. Die Niederschlagung nach § 261 AO
Das Finanzamt kann Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach den Grundsätzen des § 261 AO niederschlagen, wenn
- die Erhebung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird oder
- die Kosten der Erhebung außer Verhältnis zum zu erhebenden Betrag stehen (werden).
Die Norm dient, anders als der Erlass nach § 227 AO, weniger dem Schutz des Steuerpflichtigen, sondern soll verwaltungsökonomisches Handeln der Finanzbehörde ermöglichen. Denn nach den übrigen Vorschriften der AO ist das Finanzamt üblicherweise verpflichtet, jegliche Ansprüche notfalls im Wege der Vollstreckung durchzusetzen – auch Kleinbeträge und dann, wenn bereits klar ist, dass die Maßnahmen voraussichtlich keinen Erfolg haben werden.
Dabei stellt die Niederschlagung keinen Verwaltungsakt, sondern eine behördeninterne, durch Aktenvermerk dokumentierte, Maßnahme dar. Sie hat damit insbesondere kein Erlöschen des Steueranspruchs zur Folge, sondern beendet schlichtweg – gegebenenfalls auch nur vorübergehend – die Vollstreckung. Sie soll dem Schuldner nicht mitgeteilt werden, um den Anschein eines Erlasses zu vermeiden.
Stellt das Finanzamt nach der Niederschlagung fest, dass der Schuldner die offenen Forderungen voraussichtlich begleichen kann, kann es die Vollstreckung wieder aufnehmen.
Einzige und damit wichtigste Voraussetzung für eine Niederschlagung ist die negative Erfolgsprognose. Sie liegt insbesondere vor, wenn erste Vollstreckungsmaßnahmen bereits „im Sande verlaufen“ sind und das Finanzamt davon ausgehen kann, dass dies auch bei weiteren Maßnahmen der Fall sein wird. Auch kann niedergeschlagen werden, wenn der Schuldner unbekannt, insbesondere ins Ausland, verzogen ist.
3. Fazit zu Billigkeit, Erlass und Niederschlagung
Mit den §§ 163, 227 und 261 AO hat das Finanzamt die Möglichkeit, zum Vorteil des Steuerpflichtigen vom materiellen Recht abzuweichen. Die Hürden für eine entsprechende Festsetzung, den Erlass oder die Niederschlagung sind entsprechend hoch. Denn die Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO) muss, wie auch die Ausübung des Ermessens (§ 5 AO), entsprechend der allgemeinen Verfahrensgrundsätze gewährleistet sein. Gewährt das Finanzamt einem Steuerpflichtigen einen ungerechtfertigten Vorteil, während es ihn einer anderen Person verwehrt, handelt es rechtswidrig.
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