Die Verböserung eines Verwaltungsakts

Wie weit darf das Finanzamt gehen?

Verböserung im Einspruchsverfahren

Der Einspruch gegen einen Steuerbescheid ist der erste und wichtigste Rechtsbehelf im Besteuerungsverfahren. Er ermöglicht dem Finanzamt eine Änderung des gesamten Bescheides – zugunsten, aber auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen. Ist letzteres der Fall, spricht man von der sogenannten Verböserung. Nach der Änderung durch das Finanzamt wäre der Bescheid für den Steuerpflichtigen ungünstiger, als er es vor der Änderung war – zum Beispiel, weil sich die zu zahlende Steuer erhöht.

„Verböserung“ bedeutet also nicht, dass das Finanzamt persönlich etwas gegen den Steuerpflichtigen hat (zumindest in den meisten Fällen). Vielmehr ist der Begriff Ausdruck einer gewissen Unbeholfenheit des Gesetzgebers, die nachteilige Änderung eines Verwaltungsaktes mit nur einem Wort zusammenzufassen.

poster

Unser Video: Grundlagen des Einspruchs

In diesem Video erklären wir, welche Grundsätze es bei der Einlegung des Einspruchs gegen einen Steuerbescheid zu beachten gibt.

Inhaltsverzeichnis

1. Grundzüge des Einspruchs gegen Steuerbescheide

Steuerpflichtige, die mit einer Entscheidung des Finanzamts unzufrieden sind, können sich mithilfe des Einspruchs gegen den entsprechenden Bescheid wehren. Er ist der statthafte Rechtsbehelf nach § 347 AO und betrifft insbesondere die Steuerbescheide. Statthaft ist der Einspruch aber auch gegen den Steuerbescheiden gleichstehende Verwaltungsakte, etwa Grundlagen- und Haftungsbescheide.

Die Bekanntgabe eines Steuerbescheides gilt drei Tage nach der Aufgabe zur Post als bewirkt. Ab dem vierten Tag läuft die einmonatige Einspruchsfrist nach § 355 Absatz 1 AO. Der Einspruch muss schriftlich oder elektronisch, keinesfalls also mündlich, gegenüber der zuständigen Finanzbehörde erklärt werden. Zuständig für den Einspruch ist das Finanzamt, welches auch den angegriffenen Steuerbescheid erlassen hat.

Der Rechtsbehelf verpflichtet das Finanzamt zu einer vollumfänglichen Neuprüfung des Sachverhaltes, in deren Verlauf es dann auch zur Verböserung kommen kann. Diese ist aber weder gesetzlich noch in Verwaltungsvorschriften vorgeschrieben. Vielmehr „öffnet“ der Einspruch den Steuerfall erneut, sodass es – wie auch bei der Erstveranlagung – zu einer Abweichung von den erklärten Tatsachen kommen kann.

1.2. Die Verböserung nach § 367 Absatz 2 Satz 2 AO

Unter einer Verböserung versteht man die Änderung des angegriffenen Bescheides zum Nachteil der Einspruchsführerin oder des Einspruchsführers. Sie ist in § 367 Absatz 2 Satz 2 AO geregelt und unter vergleichsweise niedrigen Voraussetzungen möglich. Entscheidend ist, ob der Einspruchsführer durch die Einspruchsentscheidung schlechter gestellt wird, als er bei einer Rücknahme des Einspruchs stehen würde (Klein/Rätke AO § 367 Rn. 11, 12).

Im Einspruchsverfahren beantragt der Steuerpflichtige zunächst eine Änderung des Steuerbescheids aus bestimmten Gründen. Er macht beispielsweise den Abzug weiterer Werbungskosten oder Betriebsausgaben geltend. Auch ein zu niedrig oder gar nicht festgestellter respektive berücksichtigter Verlustvor- oder Rücktrag kann Auslöser und Begründung eines Einspruchs sein.

Das Finanzamt ist nach Eingang des Rechtsbehelfs zur umfassenden Neuüberprüfung des gesamten Falles verpflichtet (§ 367 Absatz 2 Satz 1 AO). Fallen dem zuständigen Sachbearbeiter im Zuge dieser Überprüfung auf, dass der Steuerpflichtige zwar zutreffende Tatsachen vorgetragen, er selbst aber auch Punkte übersehen hat, kann es zu einer Verböserung kommen.

1.3. Hinweispflicht bei geplanter Verböserung im Einspruchsverfahren

Möchte das Finanzamt im Rahmen des Einspruchsverfahrens eine Verböserung durchführen, muss es den Einspruchsführer nach § 367 Absatz 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO hingewiesen wurde. Der Hinweis muss vor der Verböserung erfolgen und konkret begründet werden. Das Finanzamt ist also verpflichtet, den Steuerpflichtigen darauf aufmerksam zu machen, in welcher Hinsicht es den Steuerbescheid zu seinen Ungunsten ändern möchte.

Der Steuerpflichtige hat dann die Möglichkeit, zur geplanten Verböserung Stellung oder seinen Einspruch zurückzunehmen. Kommt es zur Rücknahme, ist eine Änderung des angegriffenen Bescheides nur noch im Rahmen der regulären Aufhebungs- und Änderungsnormen der AO möglich.

Anders als im Einspruchsverfahren, gilt vor dem Finanzgericht (einschließlich dem Bundesfinanzhof) ein Verböserungsverbot (Verbot der reformatio in peius), das aus § 96 FGO hergeleitet wird. Es ist daher ausgeschlossen, dass es zu einer höheren als der im angegriffenen Verwaltungsakt festgesetzten Steuer kommt.

image

Haben Sie Fragen zum Einspruchsverfahren oder anderen Themen im Verfahrensrecht?

Unsere Kanzlei hat sich hierauf besonders spezialisiert. Vereinbaren Sie jetzt Ihren persönlichen oder virtuellen Beratungstermin mit unseren Steuerberatern und Rechtsanwälten:

2. Unmittelbare Folgen der Verböserung für den Steuerpflichtigen

Nimmt der Einspruchsführer seinen Einspruch trotz Hinweis auf die drohende Verböserung nicht zurück, kann das Finanzamt eine entsprechende Entscheidung erlassen. Möchte es nur einzelnen Punkten des Einspruchs abhelfen und im Übrigen verbösern oder dem Begehren schlichtweg nicht entsprechen, kommt es zum Erlass

  • einer Teil-Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2a AO), in der das Finanzamt begründet, inwieweit und warum es den Einspruch respektive das Begehren des Steuerpflichtigen ablehnt.
  • eines Teil-Abhilfebescheides (§ 367 Absatz 2 Satz 3 AO), soweit dem Antrag des Steuerpflichtigen ohne Einwände entsprochen werden kann.

Eine Verböserung kann damit, wie auch die Ablehnung des Einspruchsbegehrens, nur durch Einspruchsentscheidung erfolgen. Diese ist den Steuerbescheiden gleichgestellt, allerdings nicht erneut mit dem Einspruch, sondern nur im Klageverfahren angreifbar (§ 348 AO). Eine Rücknahme des Einspruchs vor einer eventuellen Verböserung spart damit nicht nur Verwaltungsaufwand, sondern in der Regel auch bares Geld.

Aber Achtung: Im Einzelfall ist von der Rücknahme des Einspruchs bei drohender Verböserung abzuraten – nämlich dann, wenn das Finanzamt offensichtlich falsch liegt. Je nach steuerlicher Auswirkung bleibt dann nur noch die Klage, der aber ein ausführliches Erörterungsgespräch mit der Behörde vorgeschaltet werden sollte.

Einspruchs- und Klageverfahren

  1. Beratung bei komplexen Unternehmensstrukturen (Holdinggesellschaften, Organschaften)
  2. Beratung zur Abgrenzung von typisch und atypisch stillen Gesellschaften
  3. Einreichung einer strafbefreienden Selbstanzeige beim Finanzamt
  4. Ausarbeitung von Vermeidungsstrategien für den Gestaltungsmissbrauch im Sinne des § 42 AO, Entwicklung angemessener rechtlicher Gestaltungen
  5. Abgrenzung zwischen Steuerstraftat und Steuerordnungswidrigkeit
  6. Entwicklung von Verteidigungsstrategien gegenüber der Finanzverwaltung bei Einspruchsverfahren, Betriebsprüfungen, FG-Klageverfahren und BFH-Revisionsverfahren
  7. Rechtsberatung durch unsere Rechtsanwälte (insbesondere im Gesellschaftsrecht und Vertragsrecht)

Hierzu stehen Ihnen unsere Steuerberater und Rechtsanwälte an den Standorten Köln und Bonn gerne für eine persönliche Beratung zur Verfügung. Zudem beraten wir deutschlandweit per Telefon und Videokonferenz:

Standort Köln

image Telefon: 0221 999 832-10 E-Mail: office@juhn.com Mo.-Fr.: 8:30 bis 18:00 Uhr

Standort Bonn

image Telefon: 0228 299 748 10 E-Mail: office@juhn.com Mo.-Fr.: 8:30 bis 18:00 Uhr

Telefon-/Videokonferenz

image Telefon: 0221 999 832-10 E-Mail: office@juhn.com Mo.-Fr.: 8:30 bis 20:00 Uhr