Rückstellungen: Vorbehalte im Ertragsteuerrecht
Das Handelsrecht, das über § 5 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG auch für die steuerliche Bilanzierung gilt, ermöglicht eine Bildung von Rückstellungen in unterschiedlichsten Fällen. Allerdings sieht das Steuerrecht in den §§ 5, 6 und 6a EStG verschiedene Ausnahmen vor. Soweit die Bildung einer Rückstellung handelsrechtlich zulässig ist, steuerlich aber ein Passivierungsverbot oder eine Passivierungseinschränkung greift, weicht die Steuer- von der grundsätzlich maßgeblichen Handelsbilanz ab.
Unser Video:
Ansatz von Rückstellungen in der Bilanz
In diesem Video erklären wir, was Rückstellungen sind und wie Sie sie in der Bilanz ansetzen (dürfen).
Inhaltsverzeichnis
1. Allgemeiner Grundsatz: Was sind eigentlich Rückstellungen?
Handels- und steuerrechtlich ist zwischen Verbindlichkeiten auf der einen und Rückstellungen auf der anderen Seite zu unterscheiden. Im Wesentlichen besteht der Unterschied dabei in der Gewissheit respektive Ungewissheit des zu passivierenden Betrages:
- Eine Verbindlichkeit ist in ihrem Umfang und ihrer Fälligkeit bestimmbar. Der Unternehmer weiß beispielsweise genau, dass er am 31.12.2023 EUR 6.500 an einen seiner Lieferanten zu zahlen hat. Eine entsprechende Rechnung liegt vor
- Auch bei der Rückstellung handelt es sich dem Grunde nach um eine Verbindlichkeit, denn ihrer Bildung liegt eine zukünftig zu leistende Zahlung oder ein in Zukunft anfallender, sonstiger Aufwand zugrunde. Allerdings ist das „Ob“ und die Höhe der Verbindlichkeit noch ungewiss; eine Aussage zum Umfang der Verpflichtung lässt sich daher mitunter nur näherungsweise treffen
Beispiel: Die Inhaberin eines Gewerbebetriebes wird von anliegenden Bewohnern darauf hingewiesen, dass diese die Errichtung einer Lärmschutzwand im Zweifel auch gerichtlich durchsetzen werden. Die Verpflichtung, die Schutzmaßnahme zu errichten, wird voraussichtlich in etwa zwei Jahren fällig.
Problem: Eine konkrete Verbindlichkeit ist de facto nicht zu ermitteln, da weder Bau- noch sonstige Rechnungen vorliegen. Die Höhe einer eventuellen Rückstellung kann die Inhaberin des Betriebs jedoch auf Grundlage des unverbindlichen Kostenvoranschlages ermitteln.
Entsprechendes gilt zum Beispiel auch für Steuerrückstellungen. Es ist hier zwar möglich, die voraussichtlich zu zahlende Steuer zu prognostizieren, endgültig fest steht sie aber erst mit Ergehen des Steuerbescheides für das jeweilige Jahr. Damit ist zwar gewiss, dass eine Steuerzahlung fällig wird, wann und in welcher Höhe ist allerdings unbekannt.
2. Ansatz- und Bewertungsvorschriften für Rückstellungen im Steuerrecht
Rückstellungen sind grundsätzlich in Aufwands- und Schuldrückstellungen zu unterteilen. Bei ersteren besteht eine Selbstverpflichtung, etwa die Pflicht zur Übernahme von Instandhaltungskosten in einigen Jahren. Eine Schuldrückstellung liegt vor, wenn gegenüber Dritten eine (noch ungewisse) Rechtsverpflichtung besteht oder mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen wird.
Typische Rückstellungen sind beispielsweise:
- Rückstellungen für betriebliche Steuern (etwa Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer)
- Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (Drohverlustrückstellungen)
- Kulanzrückstellungen (Behebung von Mängeln an gelieferten Gegenständen)
- Rückstellungen für Garantieverpflichtungen (Garantierückstellungen), wobei sich die Verpflichtung sowohl aus dem BGB als auch aus Verträgen ergeben kann
- Rückstellungen für Prozesskosten
Handelsrechtlich sind Rückstellungen nach § 249 Absatz 1 HGB für
- ungewisse Verbindlichkeiten aller Art,
- drohende Verluste aus schwebenden Geschäften,
- im Geschäftsjahr unterlassene, aber zeitnah nachzuholende Instandhaltungsarbeiten oder die Abraumbeseitigung, und
- Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden,
zu bilden. Über § 5 Absatz 1 Satz 1 EStG greift diese Verpflichtung ins Steuerrecht durch (sogenannter Maßgeblichkeitsgrundsatz). Ist der Unternehmer also nach Handelsrecht zur Bildung einer Rückstellung verpflichtet, so hat er kein Wahlrecht, diese auch steuerlich zu bilden. Etwas Anderes gilt ausschließlich in den Fällen (§ 5 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 EStG), in denen
- das Einkommensteuergesetz die Bildung einer Rückstellung explizit verbietet,
- die Bildung der Rückstellung zwar erlaubt, diese aber abweichend vom Handelsrecht zu bewerten ist, und
- der Unternehmer ein Wahlrecht, durch das er sich für oder gegen die Rückstellungsbildung entscheiden kann, hat.
Schauen wir uns daher die wichtigsten Ausnahmen, geregelt in § 5 EStG, sowie gegebenenfalls abweichende Bewertungsvorschriften des § 6 EStG, etwas genauer an.
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2.1. Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuerrückstellungen
Steuerforderungen der Finanzbehörden stellen, mit Ausnahme der Umsatzsteuer, eine ungewisse Verbindlichkeit im Sinne des § 249 Absatz 1 Satz 1 EStG dar. Für die entsprechenden Beträge ist die Bildung von Rückstellungen daher zulässig. Die Rückstellung mindert den Gewinn im Jahr der Bildung entsprechend und erhöht ihn bei Auflösung wieder. Durch den Maßgeblichkeitsgrundsatz taucht eine handelsrechtlich gebildete Steuerrückstellung auch in der Steuerbilanz auf.
Je nach Steuerart ist die entsprechende Gewinnauswirkung aber außerbilanziell wieder zu korrigieren. Denn bei Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer handelt es sich um nicht abziehbare Aufwendungen nach
- § 12 Nummer 3 EStG für die Einkommensteuer,
- § 10 Nummer 2 KStG für die Körperschaftsteuer und
- § 4 Absatz 5b EStG für die Gewerbesteuer
sowie den gegebenenfalls anfallenden Solidaritätszuschlag („Soli“). Hat die Bildung einer Rückstellung also zu einer (negativen) Gewinnauswirkung geführt, so darf diese auf die steuerlichen Gewinnermittlung schlussendlich keinen Einfluss mehr nehmen.
Beispiel: Die U-GmbH muss voraussichtlich EUR 60.000 an Körperschaftsteuer entrichten. Sie bildet für das Jahr 2023 daher eine entsprechende Rückstellung. Sie mindert den – handels- wie steuerrechtlichen – Gewinn um ebendiesen Betrag. Durch das Abzugsverbot des § 10 Nummer 2 KStG sind die abgezogenen EUR 60.000 aber außerhalb der Bilanz wieder hinzuzurechnen. Im Ergebnis zahlt die Gesellschaft auch auf diesen Betrag Körperschaft- und Gewerbesteuer.
2.2. Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften
Nach § 249 Absatz 1 Satz 1 Alternative 2 HGB darf der Gewerbetreibende für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften eine dem voraussichtlichen Ausfall entsprechende Rückstellung bilden. Ein „schwebendes Geschäft“ bezeichnet dabei einen Leistungsaustausch (Leistung und Gegenleistung zweier Parteien), wobei einer der beiden Vertragsparteien ihre Verpflichtung bislang nicht erfüllt hat (sogenannter Erfüllungsrückstand). Der Verlust „droht“, wenn seine Entstehung überwiegend wahrscheinlich ist (BFH vom 07.09.2005, VIII R 1/03).
Steuerlich besteht für derartige Rückstellungen ein Passivierungsverbot (§ 5 Absatz 4a Satz 1 EStG). Ihre Bildung ist entsprechend unzulässig; handelsrechtliche Gewinnminderungen sind für die steuerliche Gewinnermittlung unerheblich und außerbilanziell zu korrigieren.
2.3. Garantie- und Gewährleistungsrückstellungen
Bei Garantie- und Gewährleistungsverpflichtungen handelt es sich ebenfalls um ungewisse Verbindlichkeiten im Sinne des HGB. Der Steuerpflichtige darf in Höhe der voraussichtlichen Inanspruchnahme (beispielsweise zeigt die Erfahrung, dass 5 % aller Kunden Mängel feststellen) eine Rückstellung bilden. Für Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, sind zwingend entsprechende Rückstellungen zu bilden (§ 249 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 HGB).
Im Steuerrecht gibt es hier keine Ausnahme. Die handelsrechtlichen Vorgaben gelten in vollem Umfang.
Abweichende Grundsätze gelten allerdings für Rückstellungen, die aufgrund der Verletzung von
- Patent-,
- Urheber- und
- ähnlichen Schutzrechten
gebildet werden. Ihre Bildung ist steuerlich erst dann zulässig,
- wenn der Inhaber der jeweiligen Schutzrechte Ansprüche wegen der Rechtsverletzung geltend gemacht hat oder
- wenn mit der Inanspruchnahme ernsthaft (überwiegend wahrscheinlich) zu rechnen ist (§ 5 Absatz 3 EStG).
„Ähnliche Schutzrechte“ sind dabei zum Beispiel Markenanmeldungen, Gebrauchsmuster, Warenzeichen und Verlags- sowie Vervielfältigungsrechte.
2.4. Aufwendungen, die später Anschaffungs- oder Herstellungskosten darstellen
Nach § 5 Absatz 4b Satz 1 EStG ist die Bildung von Rückstellungen unabhängig von der handelsrechtlichen Beurteilung verboten, wenn die jeweiligen Aufwendungen in späteren Wirtschaftsjahren zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten führen. Die Norm gilt für alle (zulässigen) Rückstellungsbildungen.
Beispiel: Der Steuerpflichtige wird im Jahr 2023 verpflichtet, zum Stichtag 30.06.2024 eine verschiedene Vorgaben erfüllende Lärmschutzwand auf eigenem Betriebsgrundstück zu errichten. Die Höhe der hierfür anfallenden Kosten kann zwar bereits prognostiziert, nicht aber verbindlich vorhergesagt werden. Da noch keine Rechnung vorliegt, ist keine Verbindlichkeit gegeben.
Lösung: Grundsätzlich wäre die Bildung einer Rückstellung zwar zulässig, allerdings stellt die Lärmschutzwand ein materielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens dar. Ihre Errichtung führt zu Herstellungskosten, die nach allgemeinen Grundsätzen (§ 7 Absatz 1 EStG) abzuschreiben sind. Die Bildung von Rückstellungen ist, soweit es diese Kosten betrifft, ausgeschlossen.
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2.5. Gesonderte Bewertungsvorschriften für Rückstellungen im Steuerrecht
Nach § 6 Absatz 1 Nummer 3a EStG gelten für Rückstellungen besondere Bewertungsvorschriften. Soweit diese vom Handelsrecht abweichen, sind sie Teil der Überleitungsrechnung (§ 5b Absatz 2 Satz 2 EStG und § 60 Absatz 2 EStDV). Es gilt:
- Rückstellungen für gleichartige Verpflichtungen (etwa Garantie und Gewährleistung) sind nur zu bilden, soweit aus Erfahrungen der Vergangenheit mit einer Inanspruchnahme zu rechnen ist
- Sachleistungsverpflichtungen sind in Höhe der Einzelkosten und einem angemessenen Anteil an den Gemeinkosten anzusetzen
- Entsteht die Verpflichtung fortlaufend durch den Geschäftsbetrieb (etwa durch Abnutzung des Bodens), so ist die Rückstellung in gleichen Jahresraten anzusammeln
Im Übrigen gelten auch hier die handelsrechtlichen Vorschriften. Rückstellungen sind insbesondere wieder aufzulösen, soweit der Grund für ihre Bildung entfallen ist (§ 6 Absatz 1 Nummer 3a Buchstabe f EStG).
3. Gewinnauswirkung bei Bildung und Auflösung einer Rückstellung
Eine Gewinnauswirkung ergibt sich sowohl bei der Bildung als auch bei einer späteren Auflösung der gebildeten Rückstellung. Werden Rückstellungen fortlaufend gebildet, so wirkt sich jede einzelne Buchung gewinnmindernd aus.
Beispiel: Der Steuerpflichtige bildet im Jahr 2023 eine – insoweit zulässige – Prozesskostenrückstellung in Höhe von EUR 6.000. Im Jahr 2024 kommt es zum Gerichtsverfahren, für das insgesamt EUR 7.500 an Kosten anfallen.
Lösung: Im Jahr der Bildung (2023) mindert diese den Jahresüberschuss um EUR 6.000. Der Steuerpflichtige bucht „Aufwand Zuführung Rückstellung“ an „Prozesskostenrückstellung“. Die im Jahr 2024 anfallenden Verbindlichkeiten von EUR 7.500 mindern als Betriebsausgaben (§ 4 Absatz 4 EStG) ebenfalls den Jahresgewinn. Gleichzeitig ist der Prozess abgeschlossen, der Grund für die Rückstellung mithin entfallen. Sie ist gewinnerhöhend in Höhe von EUR 6.000 aufzulösen („Prozesskostenrückstellung“ an „Ertrag Auflösung Rückstellung“).
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