Reverse-Charge-Verfahren: die Steuerschuldnerschaft in Sonderfällen
Die Steuerschuldnerschaft spielt im Umsatzsteuerrecht insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten eine entscheidende Rolle. Denn mitunter kommt es hier zu einer doppelten Besteuerung von Lieferungen oder Leistungen, wenn die jeweiligen Grundsätze missachtet werden. Eine der größten Bedeutungen kommt dabei dem Reverse-Charge-Verfahren nach § 13b UStG zu. Sind die Voraussetzungen gegeben, muss der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen. Doch wann wird die Vorschrift für Unternehmerinnen und Unternehmer bedeutend?
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Inhaltsverzeichnis
1. Das Reverse-Charge-Verfahren im Überblick
Geregelt ist das Reverse-Charge-Verfahren abschließend in § 13b UStG, wobei diverse Vorschriften ebenfalls auf diese Norm verweisen. Sie stellt eine Ausnahme zum Regelfall dar, denn die Steuerschuldnerschaft liegt üblicherweise beim leistenden Unternehmer. Wer eine Lieferung oder eine sonstige Leistung erbringt, schuldet – wenn die Leistung steuerpflichtig ist – im Regelfall 19 % Umsatzsteuer. Der Leistungsempfänger zahlt, der Leistende führt die Steuer an das zuständige Finanzamt ab.
Das Reverse-Charge-Verfahren kehrt diesen Grundsatz nun um. Im Ergebnis schuldet nicht der leistende Unternehmer, sondern der Leistungsempfänger die Steuer. Leistungsempfänger ist die natürliche oder juristische Person, die eine Leistung in Auftrag gibt. Es gilt also die „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“.
Innerhalb des § 13b UStG sind mehrere Fälle, in denen das Reverse-Charge-Verfahren zur Anwendung kommt, geregelt. Wesentlich sind dabei die Absätze 1 und 2, jeweils in Verbindung mit Absatz 5 und 7. Schauen wir uns die Unterschiede zwischen § 13b Absatz 1 und Absatz 2 UStG einmal etwas genauer an.
1.1. Unternehmer im übrigen Gemeinschaftsgebiet
Nach § 13b Absatz 1 UStG fallen sonstige Leistungen, deren Ort nach § 3a Absatz 2 UStG im Inland liegt, unter das Reverse-Charge-Verfahren. Die jeweilige Dienstleistung muss von einem Unternehmer, der seinen Sitz im „übrigen Gemeinschaftsgebiet“ – also innerhalb der Europäischen Union – hat, ausgeführt werden. Unter § 3a Absatz 2 UStG fallen dabei ausschließlich B2B-Umsätze, also sonstige Leistungen zwischen Unternehmern im Sinne des Umsatzsteuerrechts.
Beispiel: Ein polnischer Rechtsanwalt berät einen deutschen Mandanten bezüglich einer Umwandlung seines Unternehmens in eine Kapitalgesellschaft. Die Leistung wird nach § 3a Absatz 2 UStG in Deutschland ausgeführt, Steuerschuldner ist der inländische Unternehmer.
In Reverse-Charge-Fällen stellt der leistende Unternehmer eine Nettorechnung mit entsprechendem Hinweis. Diese kann beispielsweise lauten: „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b Absatz 1 UStG“.
Leistungen an Privatpersonen fallen nicht unter § 13b Absatz 1 UStG, in der Regel auch unter keinen anderen Tatbestand der Norm. Denn hier befindet sich der Leistungsort regelmäßig dort, wo der leistende Unternehmer seinen Sitz hat.
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1.2. Sonstige Fälle des Reverse-Charge-Verfahrens – § 13b Absatz 2 UStG
In § 13b Absatz 2 UStG sind weitere Tatbestände normiert, in denen ebenfalls das Reverse-Charge-Verfahren Anwendung findet. Dies ist unter anderem bei folgenden Lieferungen und sonstigen Leistungen der Fall:
- Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers (§ 3a Absatz 2 UStG spielt hier keine Rolle, der Ort muss lediglich im Inland liegen). Ein „im Ausland ansässiger Unternehmer“ ist nach § 13b Absatz 7 Satz 1 UStG ein solcher, der seinen Sitz außerhalb Deutschlands hat
- Lieferungen sicherungsübereigneter Gegenstände, ausgenommen sind Lieferungen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens
- Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen (Grundstückskauf und -verkauf, Tausch und weitere)
- Bauleistungen, wenn sie an einen Unternehmer erbracht werden, der selbst ebenfalls Bauunternehmer ist (§ 13b Absatz 5 Satz 2 UStG)
Grundstücksübertragungen sind nach § 4 Nummer 9 Buchstabe a UStG grundsätzlich steuerfrei. Optieren die Vertragsparteien allerdings zur Besteuerung (§ 9 Absatz 1 und 3 UStG), unterliegt der Vorgang dem Reverse-Charge-Verfahren. Hier schuldet der Käufer des Grundstücks oder der Immobilie die anfallende Umsatzsteuer in Höhe von 19 % des vereinbarten Entgeltes.
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2. Entstehung und Zahlung der Umsatzsteuer bei Reverse Charge
Die Umsatzsteuer entsteht grundsätzlich mit Ausführung einer Lieferung oder sonstigen Leistung. Im Reverse-Charge-Verfahren gelten hier gegebenenfalls andere Grundsätze:
- Liegt ein Fall des § 13b Absatz 1 UStG vor, entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt wurden
- In den Fällen des § 13b Absatz 2 UStG entsteht die Umsatzsteuer mit Ausstellung der Rechnung, spätestens aber im auf den Leistungsmonat folgenden Kalendermonat
Die Steuer hat der Leistungsempfänger, der durch § 13b UStG Steuerschuldner wird, zu entrichten. Dabei gelten die allgemeinen Grundsätze, insbesondere die Erklärung und Zahlung mit der monatlichen oder vierteljährlichen Voranmeldung.
Eine Besonderheit gilt, wie auch in anderen Bereichen des Umsatzsteuerrechts, durch § 14c UStG. Denn in den Fällen des Reverse-Charge-Verfahrens schuldet stets der Leistungsempfänger die Steuer. Der leistende Unternehmer darf daher keine Umsatzsteuer in seiner Rechnung ausweisen, sondern hat eine Nettorechnung auszustellen und auf die Anwendung des § 13b UStG zu verweisen.
Kommt es dennoch zu einem Steuerausweis, gilt § 14c Absatz 2 UStG. Der leistende Unternehmer muss die Umsatzsteuer, wie auch der Leistungsempfänger, an das Finanzamt abführen. Beim Leistungsempfänger gehört die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zum Entgelt, da § 10 Absatz 1 Satz 2 UStG nur die gesetzlich geschuldete Steuer von der Bemessungsgrundlage ausnimmt. Da aber ein Fall des § 14c Absatz 2 UStG vorliegt, wird die Steuer gerade nicht gesetzlich geschuldet.
Beispiel: A, ein deutscher Bauunternehmer, erbringt an den ebenfalls in Deutschland ansässigen Bauunternehmer B eine Bauleistung, die unter § 13b Absatz 2 Nummer 4 UStG fällt. A rechnet seine Leistung versehentlich mit Umsatzsteuer ab und stellt dem B EUR 119.000 in Rechnung. Bei B findet das Reverse-Charge-Verfahren Anwendung. Er muss auf EUR 119.000 weitere 19 % Umsatzsteuer berechnen und an das Finanzamt abführen.
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